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Mordlast

Mordlast

Titel: Mordlast
Autoren: Alexander Guzewicz
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abgehetzt aus und schien nicht die notwendige Ruhe aufbringen zu können, sich an den Tisch zu setzen. »Ich bin im halben Haus herumgeirrt, bis ich Sie endlich gefunden habe. Keiner wusste Bescheid, wo Sie sind.«
    »Ich habe an der Pforte Bescheid gegeben.«
    »Ist das hier nicht ein Verhörraum?«
    »Alle Besprechungszimmer waren belegt.« Engbers stand auf und gab ihm die Hand.
    »Ich bin schon seit einer Stunde hier im Haus und muss gleich noch zu Ihren Kollegen. Gibt es sonst noch Fragen?«
    »Wann bekomme ich Ihren Bericht?«
    »In zwei Tagen. Die Leichenschau habe ich gemacht und ich glaube nicht, dass die Leichenöffnung etwas Neues bringt.«
    »Gut.«
    »Dann gehe ich jetzt weiter.«
     
    Ólafur Davídsson stand in seinem Büro. Das Licht blendete ihn, egal, wo seine Blicke auch hinwanderten. Er hatte sich kurz mit seinen Kollegen unterhalten. Seitdem Wittkampf nicht mehr arbeitete, gab es mehr Abstimmungsbedarf. Sie hatten sich bisher alle darauf verlassen, dass er das Organisatorische im Hintergrund regelte. Jetzt blieb diese Arbeit auch an ihnen hängen. Keiner hatte sich jedoch bisher darüber beschwert.
    Trotzdem hatte Davídsson ein schlechtes Gefühl dabei.
    Er nahm den Hörer ab und stellte sich mit dem Rücken zum Fenster. Er spürte, wie die Sonnenstrahlen sein Hemd durchdrangen und er langsam zu schwitzen begann. Die Klimaanlage verhinderte nicht, dass sein Rücken innerhalb weniger Sekunden klitschnass geschwitzt war. Für solche Fälle hatte er immer noch ein gebügeltes Reservehemd in seinem Schrank hängen.
    Er würde es später anziehen.
    Nach dem Telefongespräch.
    Sie nahm nach dem zweiten Klingeln ab.
    »Wie geht es Ihnen?«
    »Gut«, antwortete Martina Krug, aber er hörte an ihrer Stimme, dass sie nicht die Wahrheit sagte. Er spürte, dass sie seinetwegen log – ihn anlügen wollte, weil sie nicht darüber sprechen wollte.
    »Ich habe Sie vermisst. Ihre Stimme ...«
    »Ich war da ...« Er erkannte den versteckten Vorwurf, auch wenn sie nicht die Worte gebrauchte, die es wie einen Vorwurf klingen ließen.
    »Ich musste arbeiten. Ein Notfall. Eine wichtige Zeugin hat sich in ihrer Zelle erhängt.«
    »Die Frau, die in den Zeitungen erwähnt wurde?«
    »Ja.«
    »Schrecklich ...« Sie klang jetzt ehrlich.
    »Ich habe versucht, Sie zu erreichen, um es Ihnen zu erklären.«
    »Mein Handy war ausgeschaltet. Ich wollte Sie überraschen. Ihre Überraschung mit meinem Geschenk verbinden.«
    Sie schwiegen einen Moment. Davídsson hörte das Rauschen der Leitung, das ihn jetzt förmlich anzubrüllen schien.
    »Ich kann so nicht leben. Ich hatte es mir so sehr gewünscht, aber ich kann nicht. Leider. Ich habe so etwas schon einmal durchgemacht. Mein Exmann war Polizist.« Sie lachte tonlos in den Hörer. »Offenbar stehe ich immer auf dieselben Typen. Polizisten, BKA-Beamte, Fahnder. Die Gefahr macht Männer für mich attraktiv und abstoßend zugleich. Ich möchte ein einfaches Leben führen. Glücklich und einfach. Deshalb habe ich das Bundespresseamt damals verlassen. Ständig in Rufbereitschaft. Immer bereit sein, wenn etwas passiert. Kein Privatleben mehr. Das ist kein Leben für mich, Ólafur Davídsson.«
    Er sagte nichts.
    »Ich weiß, was Sie jetzt denken.« Sie machte eine lange Pause. »Ich hatte es mir auch gewünscht. Es tut mir leid.«
    Davídsson wechselte stumm sein durchnässtes Hemd gegen ein frisches weißes Hemd. Er war auf die Toilette gegangen und hatte sich gewaschen, bevor er das neue Hemd anzog. Für einen Augenblick betrachtete er sich im matten Licht im Spiegel. Er sah die Augenringe und er wusste, dass sie nicht nur durch das Licht so dunkel wirkten.
    Das ewige Dilemma zwischen seiner Auffassung von Arbeitseifer und dem Anspruch auf ein Privatleben seiner Umwelt hatte ein neues Kapitel geschrieben.
    Er wusste, dass es keinen Ausweg gab.
    Er hatte oft genug mit seiner Schwester darüber gesprochen, wenn sie sich darüber beklagt hatte, dass er zu selten mit ihr telefonierte oder sie nicht in Island besuchte.
    Er trocknete sein Gesicht ab und ging zurück in sein Büro, um sich mit Arbeit von seinem inneren Schmerz abzulenken.

     

18
     
    D er Regen platschte unregelmäßig auf alle ungeschützten Oberflächen.   Davídsson hatte alle Fenster seines Büros weit geöffnet, um den Klang der aufschlagenden Wassertropfen besser hören zu können.
    Das leise Trommeln beruhigte ihn schon seit seiner Kindheit in Siglufjörður. Manchmal waren sie damals als Familie an der
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