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Mord

Mord

Titel: Mord
Autoren: Hans-Ludwig Kröber
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Kfz-Diebstähle zu Buche, zuständig nun wieder das Amtsgericht Tiergarten.
     
    Eigentlich hätte es jetzt ja so weitergehen, vielleicht sogar besser werden können. Natürlich, Wolkow hatte etwas Unstetes, diese Einfälle, diese plötzliche Reiselust, wenn er etwas getrunken hatte. Diese Klauereien, die weitergingen, waren ja nicht immer besonders klug. Aber der Ertrag, berechnet auf die Arbeitszeit, war einfach besser, nicht zu vergleichen mit Kellnern. Und die Jungs vom Kiez, die hatten immer wieder gute Vorschläge, todsichere Sachen. Irgendwie wurde das Leben in Freiheit zu einer Art Urlaub zwischen den Haftzeiten. Im Knast arbeitete man ja sowieso, und im Urlaub, da vergnügte man sich, dafür holte man sich das Geld. Und das mit dem Mädchen im Mai 1962 war ja nun nicht rausgekommen, das wollte er am liebsten auch schnell vergessen, er stand schließlich nicht auf kleine Kinder, das stand wohl außer Frage bei den vielen Frauen, die er gehabt hatte. Das würde nicht wieder vorkommen.
    Dennoch fuhr Fritz die ersten drei Jahre immer wieder zum Tatort. Im Nachhinein sagte er sich jedes Mal, dass er das getan hatte, weil er zu viel getrunken hatte. Trotzdem soff er weiter wie bisher. Gedanken, wie es den Eltern dieses Kindes ging, machte er sich nie. Den Vater lernte er später durch einen Zufall kennen, als er auf dem Flughafen Tempelhof arbeitete und Catering ausfuhr. Eines Tages wurde darüber geredet, dass der Kollege nicht zur Arbeit kommen konnte und dass dem früher die Tochter umgebracht worden sei. Danach ist er da nie wieder hingegangen. Auch später hat es immer Zeichen gegeben, Warnungen. Er hätte sich nicht treiben lassen dürfen, sagte Fritz, er hätte mehr Verantwortungsgefühl haben müssen. Er hätte seine Verfassung wahrnehmen und sich ändern müssen. Und dann, wenn er das getan hätte?
     
    Fritz Wolkow machte weiter, bis man 1975 die Faxen dicke hatte und ihn wegen 29  Fällen besonders schweren Diebstahls zu fünf Jahren Haft verurteilte. Zu dieser Zeit erreichte der Fortschritt die Haftanstalten. 1975 wurde die große Strafrechtsreform verabschiedet, die Zuchthäuser wurden abgeschafft, Vollzugsziel war jetzt die Resozialisierung des Gefangenen. Fritz Wolkow nutzte die neuen Möglichkeiten. Ehrenamtliche Betreuer, Menschen mit sozialem Engagement, strömten in ganz Deutschland in die Haftanstalten, vor allem Studenten und andere Akademiker, die infolge Lektüre und schieren Nachdenkens wussten, dass Kriminalität ein sozialer Etikettierungsprozess war, dass jede Gesellschaft ihre schwarzen Schafe brauchte, und dass man diesen Ausgrenzungsprozessen entgegenwirken musste.
    Zwischen den fortschrittlichen Helfern und den Insassen bestanden gewisse Unterschiede in der kulturellen Vorprägung, aber das bereitete den Helfern keine Sorgen: Auch für die Menschen im Knast konnte das Beste nur gut genug sein. Bei den Gefangenen war die Skepsis etwas größer, aber sie schauten genau hin. Da waren welche dabei, die fanden es einfach schick, sich mit echten Verbrechern zu umgeben. Aber okay, warum nicht.
    1976 starb Fritz die Mutter. Im Herbst 1977 meldete er sich zur Verbesserung seiner Bildung zu einem Kurs in neuerer deutscher Geschichte, der von der damals 32 -jährigen Historikerin Renate Schuster geleitet wurde. Gemeinsam mit den Gefangenen besprach sie die Vergangenheit im Spiegel der modernen deutschen Literatur. Fritz gefiel das, und er blieb. Er war jetzt 36  Jahre alt, und er war verliebt. Reni, wie er sie nannte, hatte auf ihn eine starke erotische Ausstrahlung und eine tolle Figur, die sie aber unter Schlabberklamotten zu verstecken versuchte. Die beiden kamen bald auch privat ins Gespräch; es gehört sich so, dass man mit den Gefangenen auch über private Dinge redete, wenn sie einen ansprachen, und Wolkow war nicht dumm, kannte sich auch in kulturellen Dingen aus. Seine Mutter hatte schließlich auf Bildung geachtet.
    Im Juni 1978 war laut Vollzugsplan der erste Hafturlaub für Wolkow vorgesehen – sofern er einen Vollzugshelfer vorweisen konnte, der sich während des Kurzurlaubs um ihn kümmerte. Er fragte Reni Schuster, die nach einer unglücklichen Ehe in einer Kreuzberger Wohngemeinschaft lebte, ob sie das für ihn tun würde. Sie erkundigte sich, was es bedeutete, Vollzugshelfer zu sein, und erfuhr, dass er sie als Urlaubsadresse angeben durfte. Sie sagte Wolkow, dass sie in der WG fünf Erwachsene wären, außerdem ihr Sohn Tom und noch zwei andere Kinder, aber die Wohnung
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