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Mord

Mord

Titel: Mord
Autoren: Hans-Ludwig Kröber
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das Sowjetische Reich zerfiel, die Macht zerfiel. Gangsterbanden gab es wie einst im Wilden Westen. Sie terrorisierten ganze Dörfer, überfielen Busse und Züge und nahmen den Menschen mit vorgehaltenem Revolver ab, was diese an Wertvollem bei sich trugen. Das, so dachte er, mag vorübergehen. Er selbst hatte so einen Überfall nie miterlebt, nur im Fernsehen gesehen, da hatten die Gangster sich mit Armee-Uniformen getarnt, um den Bus anzuhalten. Schlimmer empfand er die wirtschaftliche Ungewissheit, den Mangel, exakter: die Armut. Und würden die Kinder Arbeit finden, ordentliche Arbeit, und wie lange würden sie solche Arbeit behalten können?
    Gerade jetzt, im kasachischen Winter, mit hohem Schnee zwischen den Häusern, die eher Hütten glichen hinter ihren windschiefen Zäunen, war Alexander bereit, seinem Bruder Gregor zu folgen, der vor vier Jahren nach Deutschland gegangen war. Er lebte mit seiner Lebensgefährtin in Brandenburg, in Lübben im Spreewald. Gregor war sechs Jahre älter als er, wurde demnächst 45 . Vor zwei Jahren hatten sie sich zuletzt gesehen.
    Damals hatte Gregor die Mutter und den Vater abgeholt in den Westen, das waren die beiden in der Familie, die noch richtig Deutsch konnten. Der Vater war ein Jahr später in Lübben gestorben, die Lunge, er hatte viel geraucht in seinem Leben. Die Mutter war gesund, gottlob, und noch keine 70 . Sie schrieb ihm, regelmäßig, er solle doch auch kommen, schon wegen der Kinder. Sie schrieb nicht, dass die Kinder der Übersiedler es schwer hatten in Deutschland, dass sie an der Tankstelle herumstanden und Unsinn anstellten. Sie war sicher, ihre Enkelkinder würden keine Probleme haben.
    Gut, er würde nach Deutschland reisen, um sich alles anzusehen und vorzubereiten für die Übersiedlung der restlichen Familie, zusammen mit Robert, dem mittleren Bruder. Sie, die beiden Männer, wären das Vorkommando, und dann holten sie alle nach.
     
    So eine Auswanderung war nicht einfach und Februar keine besonders gute Zeit für eine Reise von 4000  Kilometern. Es war nicht viel Geld da. Seit Alexander als Leiter der Werkstätten gekündigt hatte, der Traktorenstation, ging es bergab. Die Kündigung musste sein, weil die Werkstätte am Ende war, er war einer der Letzten, und ihm war eine andere, ruhige Stelle angeboten worden als Mechaniker. Dort war er auch hingegangen, aber diese Stelle wurde bald reorganisiert und abgewickelt. Das lag vier Jahre zurück. Der Betrieb war in der Rayonsstadt gewesen, nicht in seinem Dorf; jeden Tag war er mit dem Bus dahin gefahren, das war günstiger als mit seinem PKW . Eine Zeitlang hatte er auch keinen Führerschein mehr gehabt, weil er betrunken am Steuer erwischt worden war. Im Dorf gab es keine größeren Betriebe, die Leute hatten sich in kleinen Genossenschaften Arbeit gesucht. Es gab keine Arbeit mehr für Alexander, er machte Gelegenheitsarbeiten, mit seinem Auto etwas holen, etwas wegschaffen, und baute Sonnenblumen an. Im Winter wurden die Sonnenblumenkerne verpackt und verkauft.
    Nun war dieser Unfall passiert. Eigentlich nichts Großes, kurz nach Weihnachten, Alexander war mit seiner Frau bei seinem Bruder gewesen. Robert hatte herumgeredet, man merkte, dass er zögerte, dass es ihm lieber wäre, wenn Alexander erst mal allein reiste. Er hatte das abgelehnt, und Robert hatte eingelenkt. Auf dem Heimweg hatten Alexander und seine Frau eine Abkürzung genommen, liefen oben auf dem Bahndamm auf den Schwellen der Eisenbahnschienen. Von dort hatte man einen guten Rundblick auf die Dächer mit den rauchenden Kaminen, es war kalt und klar und friedlich. Aber die Bohlen waren glatt, Alexander rutschte weg, schlug mit dem Rücken auf, schräg rechts auf den Stahl der Schiene. Der Schmerz stach ihn wie ein Messer in die Brust. Irina zog ihn hoch, und er ging heim mit ihr, unter Schmerzen.
    Zu Hause verband Alexander sich selbst, dachte, vielleicht wäre etwas gebrochen. Mit einer elastischen Binde umwickelte er seinen Brustkorb. Vor Schmerz konnte er sich kaum alleine aufrichten, musste eine Zeitlang liegen bleiben und konnte nicht mehr richtig atmen.
    Er hatte früher schon mal einen Rippenbruch gehabt, da war er noch Leiter der Werkstätte gewesen. Das war damals im Herbst, eine Reparatur bei der Ernte. Ein großer Traktorreifen war kaputtgegangen, das Ersatzrad auf ihn gefallen, dabei hatte er sich eine Rippe gebrochen. Trotzdem hatte er noch zwei Tage gearbeitet. Erst als der Schmerz nicht wegging, war er zum Arzt
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