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Mord zur Geisterstunde

Mord zur Geisterstunde

Titel: Mord zur Geisterstunde
Autoren: Aufbau
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Schildchen recht winzig war, hatte Ihre Ladyschaft darauf bestanden, dass ihr Titel voll ausgeschrieben wurde. »Lady Templeton-Jones, so möchte ich angeredet werden.«
    »Toller Abend für Enten«, gluckste eine der Australierinnen, als wäre das der originellste Witz der Welt.
    »Meinst du damit nicht alte Gänse?«, erwiderte ihre Freundin mit |10| einem Kichern. Einen kurzen Augenblick lang kam nicht einmal der Regen gegen die Schwaden von Gordon’s Gin an.
    Na, zumindest diese beiden amüsierten sich.
    »Gut«, sagte die Stadtführerin und verstaute das Klemmbrett unter ihrem weiten rosa Regenmantel. »Wir fangen gleich hier beim Garrick’s Head an. Wie die meisten von Ihnen sicher wissen, war David Garrick ein berühmter Schauspieler seiner Zeit, und viele alte Pubs, die in der Nähe von Theatern liegen, tragen seinen Namen …«
    Nun berichtete sie von seltsamen Begebenheiten im Theatre Royal selbst, bezog sich auf verschiedene Aufführungen der neueren Zeit und nannte jeweils die Anzahl von Zuschauern, die die Geister gesehen oder gehört hatten.
    »Die Graue Dame ist tatsächlich während einer Vorstellung vor achthundertsiebenundfünfzig Menschen erschienen!«
    Da war die Gruppe aber beeindruckt! So eine präzise Zahl! Nicht achthundertfünfzig, sondern achthundert
sieben
undfünf zig ! Das musste doch stimmen.
    »Ich habe gar nicht gewusst, dass Geister so dreist sein können«, bemerkte jemand aus der Gruppe.
    Mary Jane war leicht pikiert. »Hier geht es nicht um einen Geist. Hier haben wir es mit einem Gespenst zu tun, dem Ergebnis einer traumatischen Begebenheit. Geister sind etwas völlig anderes. Die existieren einfach in einem parallelen Universum und nehmen Kontakt auf, wenn ihnen danach ist.« Sie sagte das so, als sei sie daran gewöhnt, regelmäßig Besuch aus dem Jenseits zu bekommen.
    Pamela Windsor nickte respektvoll. »Nun, wenn noch jemand auf die Toilette gehen möchte …« Gleich trottete die Hälfte der Gruppe in den Pub zurück. Als sie endlich wieder vollzählig waren, gab die Stadtführerin eine ausführliche Geschichte des Pubs und des Theaters zum Besten. So erzählte sie unter anderem von dem Jasminduft, der stets dem Erscheinen der Grauen Dame vorauswehte.
    »Als Nächstes gehen wir über den Queen Square zum Circus …«
    |11| Die Gruppe patschte hinter ihr her wie eine Reihe triefnasser Entenküken.
    Das Gespenst vom Queen Square kam und ging – vielmehr: es kam nicht.
    »Nichts gesichtet.« Mary Jane klang enttäuscht.
    »Das muss am Wetter liegen«, zischelte Honey ihr zu.
    Während sie eine kleine Steigung hinter sich brachten, die sie zum nächsten Halt führen sollte, beugte sich Mary Jane dicht an Honeys Ohr. »Ich denke nicht, dass wir heute irgendwas Interessantes zu sehen bekommen. Ich empfange von dieser Gruppe ganz negative Schwingungen. Diese Leute sind überhaupt nicht auf spirituelle Dinge eingestellt.«
    »Auf Spirituosen manche schon,« erwiderte Honey. Sie schaute zu den beiden Australierinnen hinüber, die wie kleine Schulmädchen über die Pfützen hüpften. Eine der beiden hatte einen Flachmann dabei. Wer die größten Spritzer machte, nahm einen Schluck.
    »Diese Leute brauchen dringend spirituelle Beratung«, tadelte Mary Jane.
    »Und ich brauche ein Paar neue Turnschuhe.« Honey schaute zu ihren Füßen hinunter und sah, wie das Wasser in Strömen aus den Schnürlöchern troff. Zu allem Überfluss lösten sich immer wieder die Schnürsenkel, schleiften durch die Pfützen und wurden dabei noch nasser. Alle paar Minuten musste Honey stehen bleiben und die Schuhe neu zubinden. Langsam fiel sie immer weiter hinter die Gruppe zurück.
    Mary Jane war mit Feuereifer bei ihrem Lieblingsthema und hielt tapfer Schritt mit der Stadtführerin.
    Honey bemerkte, dass sie neben der Lady mit dem Spazierstock durch den Regen patschte. Sie fühlte sich verpflichtet, Konversation zu machen. »Sie haben also einen Adelstitel. Wie kommt das?«
    »Das geht Sie gar nichts an!«
    »Tut mir leid. Nichts für ungut.«
    Sie stapften weiter über den leicht erhöhten Kiesweg, auf dem früher die feinen Herrschaften ihre noblen Gewänder zur Schau |12| gestellt hatten. Die vor Nässe triefenden Blätter der Bäume rauschten in der Dunkelheit.
    Von weitem hörte Honey die Bemerkung: »Das raschelt wie ein gestärkter Taftrock.«
    In Honeys Kopf hatten derlei elegante Gedanken keinen Platz. Vor ihrem geistigen Auge schwebten Bilder von einer heißen Schokolade und einer
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