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Mord in Wien: Wahre Kriminalfälle (German Edition)

Mord in Wien: Wahre Kriminalfälle (German Edition)

Titel: Mord in Wien: Wahre Kriminalfälle (German Edition)
Autoren: Helga Schimmer
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schlecht an den 8. April 1944 – Lüdkes Sterbetag – erinnern. Bernd Wehner, der Autor des zitierten Spiegel-Artikels, spricht beispielsweise von „obskuren und keineswegs gesetzlichen Unterkälteversuchen, bei denen der ‚doofe Bruno‘ auf der Strecke geblieben ist“. Für einen Kriminalrat, der bei der Abschlussbesprechung des Falles im Reichskriminalpolizeiamt anwesend war, eine bemerkenswert unpräzise Angabe.
    Auch Ferdinand Schoen, jener Nervenarzt und Gerichtsmediziner, der Lüdke als „wahre Fundgrube“ bezeichnet und unter anderem die Alkoholversuche samt den nachfolgenden Rückenmarkspunktionen an ihm durchgeführt hat, scheint bei seiner Zeugenaussage in der Voruntersuchung gegen Albert Widmann an akutem Gedächtnisverlust zu leiden: Es seien ihm zwar Gerüchte über irgendwelche Versuche an Lüdke zu Ohren gekommen, aber er wisse nichts Genaueres darüber, denn er habe sich ja wegen seiner Tätigkeit als Luftwaffenpathologe nicht immer in Wien aufgehalten.
    Tatsächlich hat Schoen für die Luftwaffe gearbeitet. Die an der Ersten Medizinischen Klinik installierte Unterdruckkammer – eine von 20 im Deutschen Reich – dürfte ihm wohlvertraut gewesen sein. Vermutlich war er sogar federführend am Experiment beteiligt, das Bruno Lüdke das Leben kostete. Die dürftigen Angaben Schoens, der sich nach 1945 als Psychiater in Karlsruhe niederließ, kann man daher nur unter dem Aspekt des Selbstschutzes sehen.
    Was genau mit Lüdke geschah, lässt sich heute nicht mehr restlos klären. Einige Autoren bringen eine Zyankali-Injektion ins Spiel, die ein Mediziner dem Köpenicker setzte. Diese Giftspritze dürfte aber schriftstellerischer Fantasie entspringen. Interessanterweise fehlt in den für 1944 ansonsten lückenlos vorhandenen Obduktionsprotokollen der Gerichtsmedizin Wien gerade der Monat April. Nur in der vom Standesamt Wien-Alsergrund ausgestellten Sterbeurkunde ist als Todesursache vermerkt: kleinschwielige Herzfleischentartung, Erweiterung der rechten Herzkammer, Herzlähmung – eine Diagnose, die keine Rückschlüsse auf die näheren Todesumstände zulässt.
    Übrigens hat Albert Widmann, jener Kriminaltechniker, der unter anderem auch die Vergasung mit Kohlenstoffmonoxid für die Aktion T4 entwickelte, die nach der Haager Landkriegsverordnung verbotene Aconitin-Munition noch im Frühjahr 1944 zusammen mit anderen Nazi-Größen auf fünf Insassen des KZ Sachsenhausen abgeschossen. Drei der männlichen Opfer verstarben erst nach zweistündigen Todesqualen. Ein Resultat, das den Chef des Reichssicherheitshauptamtes Ernst Kaltenbrunner zu der lapidaren Meldung an Himmler veranlasste: „Versuche mit dem Geschoss haben ergeben, dass ein Mensch auch bei leichter Verwundung eingeht.“
    Nachträgliche Sensationsmache
    In den Nachkriegsjahren erfolgt dann die mediale Ausschlachtung des Falles Bruno Lüdke, die man in der NS-Zeit erfolgreich unterdrückt hat. 1957 greift Journalist Will Berthold das Thema auf und verfasst für die Münchner Illustrierte die Fortsetzungsgeschichte „Nachts, wenn der Teufel kam“. Ein Jahr später entsteht unter demselben griffigen Titel auf Basis der Artikelserie ein Spielfilm, in dem der junge Mario Adorf die Rolle Lüdkes übernimmt. Beides, Fortsetzungsgeschichte wie Film, schwanken zwischen Dichtung und Wahrheit und bedienen sich großzügig am stereotypen Verbrecherbild der nationalsozialistischen Ideologie: die primitive Bestie in Menschengestalt.
    Erstmals bezeichnet der DDR -Gerichtsreporter Günter Prodöhl, der Zugang zu den Polizeiakten hat, im Jahr 1960 die Erhebungen gegen Lüdke als den größten Geständnisbetrug auf dem Gebiet der Kriminalistik. Die Darstellungen in der Münchner Illustrierten sind nach Prodöhl nichts weiter als „plump verfälschte Geschichte“. 1994 schließlich veröffentlicht die Zeitschrift Kriminalistik einen Fachartikel des niederländischen Kriminalisten Jan Blaauw, der nach einer gründlichen Analyse der Untersuchungsakten eindrucksvoll darlegt, wie die falschen Geständnisse Lüdkes unter der Manipulation durch Kommissar Franz zustande gekommen sind.
    Franz war es auch, der im April 1944 die beiden Schwestern Bruno Lüdkes vorlud und ihnen erklärte, ihr Bruder sei an einer ansteckenden Krankheit gestorben, was seine sofortige Einäscherung notwendig gemacht habe. Eine Ausfolgung der Urne müsse unterbleiben, da Lüdke einen unehrenhaften Lebenswandel geführt habe und ihm deshalb die bürgerlichen Ehren zu verweigern
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