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Mord in Wien: Wahre Kriminalfälle (German Edition)

Mord in Wien: Wahre Kriminalfälle (German Edition)

Titel: Mord in Wien: Wahre Kriminalfälle (German Edition)
Autoren: Helga Schimmer
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vermutlich deshalb nicht in Betracht, weil bei einem Verfahren mit einem gänzlichen Geständniswiderruf gerechnet werden muss und die Reichspolizei sich dadurch blamieren würde. Außerdem lässt sich ein über viele Jahre ungehindert mordender Serienkiller nicht gut als Erfolg leistungsstarker Polizeiarbeit verkaufen. So bleibt letztlich nur die Vertuschung, womit das weitere Schicksal Bruno Lüdkes besiegelt ist.
    In den Fängen fragwürdiger Forscher
    „Als Gauleiter und Reichsverteidigungskommissar der Reichshauptstadt Berlin ist es mein Recht und meine Pflicht zu verlangen, dass der bestialische Massenmörder und Frauenschlächter Bruno Lüdke keines normalen Henkertodes stirbt. Er soll seine scheußlichen Verbrechen wenigstens mit einem martervollen Tode sühnen. Ich schlage vor, ihn bei lebendigem Leibe zu verbrennen oder vierteilen zu lassen.“
    So zitiert Bernd Wehner in seinem „Spiegel“-Artikel von 1950 einen Brief des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda Josef Goebbels an den Reichsführer-SS und Chef der deutschen Polizei Heinrich Himmler. Ebendieser betrachtet das Schreiben als unmissverständlichen Befehl und regelt die Angelegenheit auf seine Art: Er lässt Lüdke zum neu gegründeten Kriminalmedizinischen Zentralinstitut ( KMI ) in Wien überstellen. Hier soll das „entartete Subjekt“ einmal gründlich studiert werden. Die schweren Bombenangriffe auf die Hauptstadt liefern das offizielle Argument für die Transferierung des Gefangenen in die Ostmark: Bei einer möglichen Beschädigung des Berliner Polizeigefängnisses bestünde die Gefahr, dass Lüdke ausbricht und weitere Morde begeht.
    So kommt der Häftling am 11. Dezember 1943 in Begleitung von Kriminaldirektor Togotzes und Kriminalsekretär Manke am Wiener Ostbahnhof an und wird direkt in das Polizeigefangenenhaus an der Rossauer Lände gebracht. Zwei Tage später beginnt man mit den kriminalbiologischen Untersuchungen. Bruno Lüdke, das Objekt rassehygienischer Begierde, wird sowohl den extra aus Berlin angereisten Fachleuten als auch den hiesigen, mit der Verbrechensbekämpfung befassten Einrichtungen vorgeführt – sollen doch alle an diesem Paradebeispiel „minderwertigen Lebens“ lernen.
    Am vom Vorstand der Wiener Gerichtsmedizin Prof. Philipp Schneider geleiteten KMI wird der vermeintliche Massenmörder nach den erbbiologischen Standards der Zeit fotografiert. Der Vorstand des Instituts für Kriminologie der rechtswissenschaftlichen Fakultät Roland Graßberger macht Schallplatten- und Magnetophon-Aufnahmen von Lüdke. Die Anthropologen Josef Weninger, Anton Rolleder und Robert Routil attestieren ihm eine „asozial-verbrecherische Veranlagung“ bei „außerordentlicher Gemütsrohheit“, während sie ihn nackt von allen Seiten ablichten und seinen Körper bis ins Detail vermessen.
    Der Nervenarzt und Gerichtsmediziner Ferdinand Schoen untersucht Lüdke psychiatrisch und führt unter anderem auch Geruchstest mit ihm durch. Als Lüdke Kognakgeruch richtig benennt, fordert Schoen ihn auf, ein Glas zu trinken, was Bruno aus Angst, vergiftet zu werden, ablehnt. Doch der Forscher, der in Lüdke eine „wahre Fundgrube“ entdeckt hat, zwingt ihn, 100 Gramm reinen Alkohol zu sich zu nehmen, wonach er sein Rückenmark an verschiedenen Stellen punktiert (Lumbal- und Occipitalpunktion), um den Alkoholspiegel in der Rückenmarksflüssigkeit zu bestimmen. Eine unangenehme Prozedur, die häufig in heftigen Kopfschmerzen nachwirkt.
    Auch Mitarbeiter des Instituts für Psychologie bekommen Gelegenheit für einschlägige Tests und eine Messung der Hirnströme. Schließlich formt man am 15. Jänner 1944 Lüdkes Kopf mit dem Moulageverfahren ab. Normalerweise wartete man vor einem solchen Schädelabguss die Verurteilung und den Henkertod eines Delinquenten ab. Bei Bruno Lüdke aber ist die Büste eine Trophäe für den Ermittlungserfolg am Lebenden. Sie befindet sich noch heute im Museum des Wiener Departements für Gerichtliche Medizin.
    Wie Kriminalsekretär Manke an seinen mittlerweile wieder nach Berlin abgereisten Chef Togotzes berichtet, widerfährt Lüdke zumindest im Polizeigefangenenhaus eine im Vergleich mit anderen Häftlingen unüblich gute Behandlung. Er bekommt reichliche Essensrationen, darf gelegentlich auch tagsüber schlafen und hat sogar einen Wachmann dazu gebracht, ihm für die Feiertage einen Kuchen backen zu lassen. Zu Manke hat Lüdke wie seinerzeit zu Kommissar Franz besonderes Vertrauen gefasst. Als
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