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Mord in h-moll

Mord in h-moll

Titel: Mord in h-moll
Autoren: Alexander Borell
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Gedanke, ich dürfe Karin niemals mit diesem Wissen um meine Tat belasten. Hatte sie mir womöglich diese entscheidende Frage nur aus diesem Grunde gestellt, um von mir ein klares Nein zu hören, ein Nein, das alle Zweifel in ihr verstummen ließ? Wie oft wünscht man sich, angelogen zu werden, um sich selbst der Verantwortung zu entziehen?
    Ich konnte es nicht. Ich war geradezu versessen darauf, endlich einem Menschen alles zu erzählen, meinen Mord an Hilda zu beichten. Einem Menschen, dem ich vertrauen konnte, einem Menschen, der mich verstehen würde.
    Ein Schwächeanfall, vielleicht durch die Aufregung verursacht, trieb mir den Schweiß auf die Stirn. Schwer ließ ich mich in einen der Sessel fallen. Meine Stimme war nur noch ein heiseres Krächzen.
    »Bitte... Karin... hast du einen Schluck Kognak für mich?«
    Sie drehte sich wortlos um, holte eine neue, aber noch nicht aufgekorkte Flasche aus dem Schrank, stellte sie mit einem Glas vor mich hin und blieb abwartend stehen, ohne mich anzuschauen.
    Meine Hände zitterten beim Einschenken so, daß ich etwas auf die neue Tischplatte goß. Hastig kippte ich das Glas hinunter. Am liebsten hätte ich gleich noch eins folgen lassen, aber ich genierte mich vor Karin. Ich schenkte es nur voll, ließ es aber stehen und wischte mit meinem Taschentuch die Tischplatte ab.
    Vielleicht empfinden Selbstmörder einen wollüstigen Genuß, wenn sie nach ihrem grundsätzlichen Entschluß den Finger am Abzughahn krümmen oder das Gift hinunterschlucken. Es mag die Wollust der Verzweiflung sein, das Beenden eines unerträglichen Zustandes.
    Dieses Gefühl empfand ich in dem Augenblick, als ich sagte:
    »Ja, Karin, ich habe Hilda getötet.«
    Die Worte schwebten wie eine Rauchwolke im Raum. Sie hoben und senkten sich, schwebten hin und her und wollten sich nicht mehr verflüchtigen. Sie wogen zu schwer.
    »Hör zu«, sagte ich. »Es ging nicht mehr anders. Meine Ehe war ein Martyrium. Ich habe versucht, mich dagegen aufzulehnen, immer wieder, aber es war hoffnungslos. Hilda war stärker als ich, sie zwang mich, ihre Quälereien zu erdulden, und sie hatte ihre Freude daran. Es... es war Notwehr, Karin.«
    Sie ließ sich mir gegenüber in den Sessel sinken und vergrub das Gesicht in ihren Händen.
    Ich spürte, wie mir leichter wurde. Es war ein wunderbares Gefühl, etwa so, wie wenn man kurz vor dem Verdursten die ersten Schlucke kühlen, klaren Wassers trinkt. Jetzt geht das Leben weiter!
    Ich sah, wie ihre Schultern zuckten, und endlich sagte sie:
    »Ich habe es geahnt. Seit du in Davos warst, habe ich es geahnt. Zuerst wollte ich mich dagegen wehren, aber es wurde immer stärker. Ich mußte Gewißheit haben.«
    »Nun hast du sie. Vielleicht wäre es besser gewesen, du hättest nicht gefragt.«
    »Doch, ich mußte.« Eine Weile schwieg sie, dann fragte sie ganz leise: »Wie... wie hast du es getan?«
    »Ich habe es eben getan«, sagte ich. Wozu sollte ich ihr alle Details schildern? Aber plötzlich überkam mich der Zwang, auch das noch zu beichten. Eine Wunde, in der Eiter zurückbleibt, springt immer wieder auf, heilt niemals. Ich mußte Karin alles sagen, und ich tat es.
    Ich berichtete ihr von meinem Entschluß, Hilda zu töten, als ich befürchten mußte, mein Defizit in der Kasse würde entdeckt werden. Ich erzählte, wie verzweifelt ich gewesen war, als Hilda mir erklärte, sie habe die Erbschaft längst erhalten und das Geld verbraucht. Ich erzählte, wie ich tagelang darüber nachgedacht hatte, wie ich Hilda umbringen könnte, ohne entdeckt zu werden... meinen Einfall mit dem Tonband... die Vorbereitungen... die Tat... der lange Tag im Büro... das Nachhausekommen mit Erwin Mack... die Polizei... und schließlich der erste Anruf des Erpressers mit dem Tonband... mit meiner »Unvollendeten« und — Hildas Stimme.
    Als ich alles gesagt hatte, wußte ich, welche Gnade eine Beichte sein kann.
    Karin schwieg.
    Ich wartete. Ich wartete minutenlang. Ihre Schultern zuckten nicht mehr. Sie war ganz ruhig, bewegungslos.
    Ich wußte, wie entsetzlich dieser Schlag für sie sein mußte.
    Aber ich war auch sicher, daß sie ihn überwinden würde. Denn sie liebte mich ja...
    Plötzlich blickte sie auf. Ihre Augen hatten einen Ausdruck, den ich noch nie an ihr gesehen hatte. Es war Verzweiflung und — ja, und Abscheu, Ekel.
    Sie sprang auf, und ich ahnte, daß sie zur Tür eilen wollte. Ich war mit zwei Sätzen an der Tür und stellte mich mit ausgebreiteten Armen davor.
    Ihre Augen
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