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Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)

Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)

Titel: Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)
Autoren: Anne Perry
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rasch wie möglich ans Ziel brachte.
    Auf dem Weg zum Palast kam ihm die Erinnerung an den Ruck, mit dem der Zug zum Stillstand gekommen war, den Schuss, das splitternde Glas und das Blut auf der Hemdbrust des Getroffenen, der nahezu sogleich tot gewesen war. War das ein Zufallstreffer gewesen, oder war Tregarron tatsächlich ein solcher Meisterschütze? Vermutlich Letzteres. Hatte man diesen Hans womöglich deshalb ausersehen, den Herzog zu begleiten, weil er ihm so ähnlich sah? War das dem Mann bewusst gewesen, und hatte er das Risiko trotzdem auf sich genommen? Vor allem aber: War Pitts Entscheidung richtig gewesen, Tregarron zu einer Tätigkeit als Doppelagent zu verpflichten, statt ihn wegen des Mordes am Begleiter des Herzogs festzunehmen? Er hätte ihm die Tat keinesfalls nachweisen können. Und selbst wenn ihm das gelungen wäre: Was wäre dabei herausgekommen? Ein Aufsehen erregender Skandal, außenpolitische Verwicklungen auf höchster Ebene, möglicherweise der Verlust seiner eigenen Stellung mit der Begründung, er habe plump politisches Porzellan zerschlagen.
    Angesichts von Tregarrons Stellung und Einfluss wäre der Fall nie vor ein ordentliches Gericht gekommen, und damit hätte sich Pitt in einer unmöglichen Situation befunden.
    Trotzdem ärgerte es ihn maßlos, dass der Mann straflos davonkommen sollte, der Herzog Alois zu ermorden versucht und dabei dessen Freund getötet hatte. War die Entscheidung wirklich richtig gewesen, sich seiner für die Zwecke des Staatsschutzes zu bedienen? Wäre das Gegenteil Klugheit oder Feigheit gewesen?
    Schon beim Betreten des glanzvollen Empfangssaals fühlte er sich sonderbar fehl am Platz, obwohl er sich äußerlich in nichts von den Dutzenden Herren unterschied, die dort standen und miteinander oder mit den Frauen in ihren herrlichen Abendroben plauderten, die ihn in ihrer Farbigkeit an eine Blumenpracht erinnerten, während die Juwelen der Damen bei jeder noch so kleinen Bewegung im Licht der riesigen Kronleuchter wie tausend Feuer funkelten.
    Während er suchend den Blick über die Menge gleiten ließ, um festzustellen, wo Charlotte war, sah er Emily mit ihrem leuchtend hellen Haar, auf dem ein mit Diamanten besetztes Diadem thronte, und dem blassgrünen fließenden Kleid, das ihr so gut stand. Sie schien glücklich zu sein.
    Auch auf Vespasia fiel sein Blick, was nicht weiter verwunderlich war, da man sie in jeder Menschenansammlung gewöhnlich allein schon wegen ihrer Größe sofort erkannte. Sie unterhielt sich leicht vorgebeugt mit Narraway.
    Was mochte Charlotte tragen? Blau, einen Burgunderton, eine andere warme Farbe, die ihre Haut und ihr dunkles Haar zur Geltung brachte? Viele der anwesenden Damen trugen Kleider mit unglaublich weiten Röcken und Keulenärmeln, wie es die neueste Mode verlangte.
    Flüchtig erhaschte er einen Blick auf Herzog Alois, der über irgendeinen Scherz lachte und einer ältlichen englischen Herzogin zulächelte. Er sah genau so aus wie der zerstreute Gelehrte, als der er sich ausgab. Man hätte glauben können, Pitt habe den ernsthaften und idealistischen Mann geträumt, der bereit war, sein Leben um eines geheimdienstlichen Auftrags willen aufs Spiel zu setzen, und der mit ansehen hatte müssen, wie man seinen Freund erschoss. War es ein Traum, der jetzt dahinschwand, weil Pitt erwacht war?
    Herzog Alois hatte nicht nur gewusst, dass Tregarrons Vater ein Verräter gewesen war, sondern auch, dass sich Tregarron selbst durch diese Verstrickung hatte dazu bringen lassen, sein Land zu verraten. Würde ihn Pitt nun kraft dieses Wissens dazu zwingen können, damit fortzufahren, und auf dem Wege erreichen, dass er auch falsche oder zumindest irreführende Informationen an Wien weiterleitete?
    Angesichts dieser Umstände war es nicht weiter verwunderlich, dass der Mann den Versuch unternommen hatte, den jungen Herzog zu ermorden. Wer hätte nicht den Wunsch, sich einer solchen Beherrschung durch einen anderen zu entziehen, einer solchen Macht, den anderen nach Belieben zu benutzen oder zu vernichten? Immerhin war Lord Tregarron zum Verräter geworden, weil er nicht wollte, dass der gute Name seines Vaters befleckt wurde. Außerdem hatte er die Gefühle seiner Mutter schonen wollen – beides durchaus ehrenwerte Motive. Die meisten Menschen würden Verständnis dafür aufbringen.
    Pitt, der nach wie vor Charlotte nicht sah, gab es auf, vom Treppenabsatz herab nach ihr zu suchen, und schritt langsam die Stufen hinab. Da ihn in der
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