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Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman

Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman

Titel: Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman
Autoren: emons Verlag
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Stuhl und folgte Funke nach draußen. Während er durch den Gang lief, machte er sich innerlich frei. Die langjährige Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass er dem Verdächtigen unbelastet gegenübertreten musste, um einen objektiven Standpunkt einnehmen zu können. Die kleinste Missstimmung konnte bewirken, dass sein Urteil negativ konnotiert wurde. Mit guter Laune neigte er dazu, Sympathien zu entwickeln, die sich bei der Ausdeutung der körperlichen Symptome ebenfalls störend auswirken konnten.
    Vor dem Vernehmungszimmer standen zwei Schutzleute, die sich links und rechts neben der Tür aufgebaut hatten. »Wenn der Flejel pampich wird oda andaweitich am Zeija dreht«, sagte der mit dem höheren Dienstrang, »brauchen Se nur wat zu sagen. Det is imma noch unsa Terreng.«
    »Danke, meine Herren«, sagte Otto, nickte dem Commissarius zu und trat in Begleitung von Moses in den fensterlosen Raum. Wilhelm Maharero war mit seinem schlanken Wuchs und der schwarzbraunen Hautfarbe ein typischer Vertreter seines Volksstammes. Er saß kerzengerade auf der Stuhlkante, hielt die Knie eng zusammen und hatte die Arme über der Brust gekreuzt. Er trug einen schwarzen Anzug und ein weißes Hemd mit Stehkragen, das bis oben hin zugeknöpft war. Als sie eingetreten waren, hatte er ihnen den Kopf zugedreht und sie gemustert. Dabei hatte er keine Gemütsregung gezeigt. Er war sich seiner selbst bewusst und beabsichtigte durch sein kontrolliertes Auftreten, seine wahren Gedanken und Gefühle zu verbergen.
    Natürlich könnte Otto versuchen, diese Selbstkontrolle zu erschüttern und den Verdächtigen in einen gefühlsmäßigen Ausnahmezustand zu versetzen, in dem ihm eine unbedachte Bemerkung entschlüpfte, aber er wollte es zunächst mit einer sanfteren Methode versuchen. Er würde als Afrikafreund auftreten und Wilhelm Maharero zum Reden bringen. Dabei würde er auf Körpersignale achten, die er als Schlüssel zum Geheimnis des Prinzen nutzen könnte.
    »Oujere ku mukuru ua kombanda, nohange kombanda jehi, nonyune movanda!«, sagte Otto zur Begrüßung und beobachtete, wie der Verdächtige die Verschränkung seiner Arme aufgab.
    »Das war ein Zitat aus dem Neuen Testament«, sagte Wilhelm Maharero in einem beinahe akzentfreien Deutsch. »Woher kennen Sie meine Sprache?«
    »Ich bin mehrere Jahre durch Ihr Heimatland gereist und habe mich eine Zeit lang einem Herdenbesitzer angeschlossen, der sein Vieh von Weideland zu Weideland trieb. Abends am Lagerfeuer unterrichteten wir uns gegenseitig in unserer Muttersprache, um uns die Zeit zu vertreiben.«
    »Und wer ist der schwarze Mann neben Ihnen?«, fragte Wilhelm Maharero.
    »Das ist Moses Katouje. Er ist ein Herero wie Sie. Nachdem seine Familie von Hottentotten massakriert wurde, wuchs er bei Missionaren auf. Die Gottesleute baten mich, ihn mit nach Deutschland zu nehmen, und das habe ich auch getan.«
    »Sind Sie Polizist?«
    »Nein, ich bin ein Kriminologe.«
    »Er ist ein guter omurumendu «, sagte Moses. »Du kannst ihm vertrauen.«
    Sofort kreuzte Wilhelm Maharero wieder die Arme über der Brust. Er rückte auf der Sitzfläche des Stuhles zurück, bis er mit dem Rücken die Lehne berührte. Dann legte er ein Bein über das andere.
    Otto hatte die Reaktion mit großem Interesse verfolgt und zog nun seine Schlüsse daraus. Offenbar hatte der Hereroprinz Schwierigkeiten, jemandem zu vertrauen. »Wie ist es Ihnen in Deutschland bisher ergangen?«, fragte er. »Sicher waren die vergangenen Monate nicht einfach. Wahrscheinlich sind Sie mehrmals enttäuscht worden.«
    »Woher wissen Sie das?«, fragte Wilhelm Maharero.
    »Sind Versprechungen nicht gehalten worden?«, fragte Otto. »Oder Verträge gebrochen worden?«
    »Das kann man wohl sagen«, erwiderte Wilhelm Maharero und rückte auf der Stuhlfläche wieder vor, was nicht nur als räumliches Entgegenkommen zu verstehen war. »Ich bin unter ganz bestimmten Voraussetzungen nach Deutschland gekommen. Ich wollte eine Audienz beim Kaiser erhalten, um mich für die Belange meines Volkes einzusetzen. Und ich wollte mindestens einen Tag in der Woche freihaben, um die Museen, die Theater- und Opernaufführungen zu besuchen. Das und noch mehr wurde mir von dem deutschen Anwerber zugesichert. Und was ist passiert? Bei der Deutschen Kolonial-Ausstellung wurde ein Dorf gebaut, in dem wir von früh bis spät in Antilopenfellen und mit klappernden Ketten aus Straußeneierschalen herumlaufen sollen. Außerdem sollen wir komische Tänze aufführen und
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