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Mord am Oxford-Kanal

Mord am Oxford-Kanal

Titel: Mord am Oxford-Kanal
Autoren: Colin Dexter
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Nachttisch.
    «Hübsches Mädchen», bemerkte Lewis.
    «Vergessen Sie nicht, daß Sie
verheiratet sind, Lewis!»
    «Haben Sie schon was gelesen?»
erkundigte sich Lewis und deutete mit dem Kopf in Richtung Nachttisch.
    «Warum fragen Sie?»
    Lewis grinste. «Wegen meiner
Frau. Sie wollte wissen...»
    «Sagen Sie ihr, ich hätte es
schon halb durch. Sehr fesselnder Stoff.»
    «Das ist doch nicht Ihr Ernst!»
    «Wissen Sie, wie man
schreibt, Lewis?»
    «Sie meinen, ob mit ß oder
Doppel-s?»
    «Und könnten Sie
definieren?»
    «Etwas, worauf man sich setzt?»
    Morse lachte — es war ein
herzliches, sorgloses Lachen, und das schönste war, es bereitete ihm keinerlei
Schmerzen. Er freute sich, daß Lewis da war, und Lewis, obwohl ein wenig
verwirrt angesichts dieser ungewohnt guten Laune, war erleichtert, daß Morse das
Schlimmste hinter sich zu haben schien.
    Plötzlich stand, wie aus dem
Boden gewachsen, Schwester Maclean an Morses Bett. Stirnrunzelnd richtete sie
die rechte untere Ecke der Decke und fragte dann in dem ihr eigenen leisen,
aber dennoch höchst einschüchternden Ton: «Wer hat den Krug mit Wasser
hierhergestellt?»
    «Damit hat es schon seine
Richtigkeit», beeilte sich Morse zu sagen. «Die Ärzte haben gesagt...»
    «Schwester Welch!» Ihre Stimme,
obwohl kaum lauter als vorher, trug nichtsdestotrotz bis in die letzte Ecke des
Krankensaales. Lernschwester Welch kam nervös herbeigeeilt, und Lewis spürte,
wie sich alles in ihm zusammenkrampfte, als er realisierte, daß der jungen
Schwester eine Strafpredigt bevorstand. Jegliche Art von Flüssigkeit, so wurde
die geknickte junge Schwester belehrt, sei dem Patienten erst nach dem
folgenden Morgen erlaubt worden — auf keinen Fall früher. Hatte sie
vergessen, sich die Krankenblätter anzusehen, bevor sie mit ihren Wasserkrügen
die Runde machte? Und falls nicht — war ihr denn nicht klar, daß kein
Krankenhaus seinen Aufgaben zufriedenstellend nachkommen konnte, wenn derartige
Nachlässigkeiten passierten? Vielleicht war ihr Fehler in diesem Fall nicht so gravierend, aber hatte sie daran gedacht, daß ein solcher Fehler beim nächsten Patienten möglicherweise schlimme Folgen haben konnte?
    Ein weiterer unangenehmer
Zwischenfall, der besonders Lewis noch immer nachging, als er sich ein paar
Minuten später von Morse verabschiedete. Morse hatte Nessies Verhaltensweise
nicht kommentiert und sagte auch jetzt nichts. Niemals, so hatte er sich im
ersten Moment gedacht, würde ich einen meiner Untergebenen in Gegenwart anderer
derartig zusammenstauchen, doch dann hatte er sich selbstkritisch erinnert, daß
auch er das schon getan hatte... und mehr als nur einmal. Trotzdem, oder
vielleicht gerade deswegen, hätte es ihn gefreut, wenn er Gelegenheit gehabt
hätte, der jungen Schwester vor dem Schichtende noch ein paar tröstende Worte
zu sagen. Doch im Moment schien der Krankensaal beinahe völlig verlassen. Der
junge Mann mit der Infusion machte wieder seine übliche Runde durchs
Krankenhaus, und zwei andere Patienten hatte er in Richtung Klo schlurfen
sehen. Nur eine Besucherin war da, eine blonde Frau um die Dreißig, schlank und
attraktiv. Sie saß am Bett von Walter Greenaway. Vermutlich seine Tochter,
dachte Morse. Beim Hereinkommen hatte sie kurz zu ihm herübergesehen, doch beim
Weggehen war sie in Gedanken noch viel zu sehr mit ihrem Vater beschäftigt, um
ihn bewußt wahrzunehmen. Sie registrierte jedoch flüchtig, daß er ihr nachsah.
Wie hatte sein Name gelautet? «Morse»?
    Es war jetzt zwanzig vor neun.
    Er spürte leise Gewissensbisse,
daß er dem kostbaren Familienerbstück von Mrs. Lewis noch keinerlei
Aufmerksamkeit geschenkt hatte, und so holte er, etwas seufzend, den Maßstab
der Ungerechtigkeit aus dem Nachttisch und überflog den ersten Absatz.
     
    Das
kriminelle Verhaltensmuster in einer technologisch entwickelten Gesellschaft
ist — wie man glaubt festgestellt zu haben — eher durch Diversifikation als
Uniformität charakterisiert. Es scheint nun absolut unumgänglich, daß man
versucht, die bei der Analyse bzw. Interpretation derartiger Muster (vgl. dazu
Anhang III, S. 492ff.) notwendigerweise auftretenden Widersprüche und/oder
Unstimmigkeiten aufzulösen. Die solchermaßen unvermeidliche Re-Evaluation der
permanent variablen Daten bildet das Rohmaterial für zahlreiche neuere Studien
über die Ursachen kriminellen Verhaltens. Doch konfligierende strategische
Selektionsprinzipien innerhalb heterogener Gebiete,
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