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Mondlaeufer

Mondlaeufer

Titel: Mondlaeufer
Autoren: Melanie Rawn
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damit!«, brüllte Ostvel so laut, dass die Falken irritiert ihre Federn schüttelten. »Ein Lied für ein anständiges Abendessen, ja? Also gut, meine Dame. Aber es sollte doch schon ein ansehnlicher Fang sein. Ich habe neuerdings einen sehr herzhaften Appetit.«
    »Ehrlich erworben«, meinte Tobin gedehnt mit einem Augenzwinkern zu Alasen.
    Nachdem Sioned den stolzen Kopf ihres Falken bedeckt und ihm die glänzend blauen Federn auf dem Rücken glatt gestrichen hatte, übergab sie ihn an einen Diener. Urplötzlich überfiel sie die Erinnerung an Camigwen. Ostvels Laute war ihr Hochzeitsgeschenk für ihn gewesen und war seit Camis Tod fast nie mehr erklungen. Doch Alasen hatte seine Musik zurückgebracht.
    Die Haube wurde entfernt, und das bernsteingesichtige Falkenweibchen flog los. Als seine bronzenen, grünen und goldenen Schwungfedern im Sonnenlicht aufglänzten, schrie es seine Begeisterung über den freien Flug hinaus. Doch anstatt die niedrigen Hügel nach Beute abzusuchen, stieß es einen triumphierenden Schrei aus und drehte nach Norden ab.
    »Verdammt!«, rief Riyan. »Wir werden ihn nie einholen, wenn er so weitermacht!«
    Sioned gab der Versuchung nach und flocht ein paar Fäden Sonnenlicht zusammen. Mit geschlossenen Augen schwang sie ihren Geist empor, um dem Vogel zu folgen. Das war es, was einen Faradhi ausmachte: so frei und wild zu fliegen, als hätte sie ebenfalls Flügel, nur getragen vom Wind, vom Sonnenlicht und von ihrer eigenen Stärke. Nach all dem Schmerz und den qualvollen Erfahrungen, die ihre Gabe ihr während des Rialla beschert hatte, war diese Kraft, die sie am meisten liebte, reines Entzücken. Sie flog mit Alasens Falken über grüne Hügel und Wiesen, sah den Vogel über einem Tal kreisen und dann so schnell hinunterstoßen, dass man ihm nicht einmal über das Sonnenlicht folgen konnte.
    »Kommt!«, rief Sioned. »Ich weiß, wo er ist!«
    Sie führte einen wilden Ritt an, auf dem sie durch die sanft gewellten Hügel galoppierten und über Nebenflüsse eines Stroms sprangen, der schon nach einer Länge nur noch ein sommerdünner Fluss war. Sie donnerten an seinem Ufer entlang, und Sioned stieß einen Warnruf aus, als der Wasserlauf sich durch eine felsige, baumbestandene Enge zwängte, die sie zwang, langsamer und nur zu zweit nebeneinander zu reiten. Pol trieb sein Pferd durch das flache Wasser, um sie und Rohan einzuholen. Sie konnte hören, wie Meath hinter ihr fluchte und Tobin wie verrückt lachte und Chay sie alle anschrie, sie sollten endlich langsamer werden. Sioned hörte nicht darauf, und als der Weg wieder breiter wurde, lenkte sie ihre Stute in hohem Tempo durch den Wald.
    Ganz unvermittelt erreichten sie das Tal, das sie aus dem Sonnenlicht gesehen hatte. Sioned zügelte bei seinem Anblick abrupt ihr Pferd. Ein weites, saftiges Tal erstreckte sich vor ihnen, volle zehn Längen lang und an der weitesten Stelle etwa halb so breit. Obstbäume voller Früchte wuchsen an den Hängen, und auf den höheren Klippen, wo zerklüfteter, grauer Fels zum Vorschein kam, reckten sich hohe Kiefern. Der Fluss wand sich im Osten durch Wiesen, die so dicht mit blauen und scharlachroten Blumen bewachsen waren, dass die ganze Ebene lila schimmerte. In der Ferne, wo sich das Tal verengte, leuchtete ein kleiner See im Sonnenlicht, um den sich hohe Gräser mal golden, mal silbergrün geschmeidig im Wind wiegten. Sioned hielt den Atem an und lächelte Rohan aufgeregt zu. Seine blauen Augen hatten einen verträumten Ausdruck angenommen, als er die Schönheit um sich herum betrachtete.
    »Wie die offene Hand der Göttin«, flüsterte Tobin. »Sioned, sind das etwa Rosen, die sich da den Hang hinaufziehen?«
    »Und wilder Wein«, bestätigte Chay. Er drehte sich zu einem der Pferdeknechte um, der es geschafft hatte, mit ihnen mitzuhalten. »Reitet zurück und holt die anderen. Wir schlagen hier unser Nachtlager auf.« Mit einem, Blick auf Rohans Gesicht, der seinen Blick nicht von dem Tal lösen mochte, fügte er trocken hinzu: »Und vielleicht bleiben wir den ganzen Winter!«
    Rohan hörte ihn nicht. Er rief den Namen seiner Frau mit einer Stimme, die vor unterdrückter Erregung bebte. »Sag mir, wie der Boden ist.«
    Sie riss die Augen auf. »Rohan, es ist Jahre her, seit ich …«
    »Mach schon.«
    Sie sprang vom Pferd und warf Pol die Zügel zu. Dann schritt sie, watete sie in das Meer der wilden Blumen hinein, zog die Reithandschuhe aus, kniete sich hin und grub ihre Hände in die duftende,
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