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Momo

Momo

Titel: Momo
Autoren: Michael Ende
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nun einen grauen Herrn sagen, der ganz oben am Konferenztisch vor der Panzertür saß, „sparsam mit unseren Vorräten umgehen, denn wir wissen nicht, wie lange wir mit ihnen auskommen müssen. Wir müssen uns einschränken.“
„Wir sind nur noch wenige!“ schrie ein anderer. „Die Vorräte reichen auf Jahre hinaus!“
„Je eher wir zu sparen beginnen“, fuhr der Redner ungerührt fort, „desto länger werden wir durchhalten. Und Sie wissen, meine Herren, was ich mit sparen meine. Es genügt völlig, wenn einige von uns diese Katastrophe überstehen. Wir müssen die Dinge sachlich betrachten! So, wie wir hier sitzen, meine Herren, sind wir zu viele! Wir müssen unsere Zahl beträchtlich verringern. Das ist ein Gebot der Vernunft. Darf ich Sie bitten, meine Herren, nun abzuzählen?“
Die grauen Herren zählten ab. Danach zog der Vorsitzende eine Münze aus der Tasche und erklärte: „Wir werden losen. Zahl bedeutet, daß die Herren mit den geraden Zahlen bleiben, Kopf bedeutet die mit den ungeraden.“
Er warf die Münze in die Luft und fing sie auf. „Zahl!“ rief er. „Die Herren mit den geraden Zahlen bleiben, die mit den ungeraden werden ersucht, sich unverzüglich aufzulösen!“ Ein tonloses Stöhnen lief durch die Reihe der Verlierer, aber keiner wehrte sich.
Die Zeit-Diebe mit den geraden Zahlen nahmen den anderen ihre Zigarren fort, und die Verurteilten lösten sich in Nichts auf. „Und nun“, sagte der Vorsitzende in die Stille hinein, „dasselbe noch einmal, wenn ich bitten darf.“
Die gleiche schauerliche Prozedur erfolgte ein zweites, ein drittes und schließlich sogar ein viertes Mal. Zuletzt waren nur noch sechs der grauen Herren übrig. Sie saßen sich zu drei und drei am Kopfende des endlosen Tisches gegenüber und sahen sich eisig an. Momo hatte den Vorgang mit Schaudern beobachtet. Sie bemerkte, daß jedesmal, wenn die Zahl der grauen Herren geringer wurde, die fürchterliche Kälte merklich nachließ. Im Vergleich zu vorher war es jetzt schon beinahe erträglich.
„Sechs“, sagte einer der grauen Herren, „ist eine häßliche Zahl.“
„Genug jetzt“, antwortete einer von der anderen Seite des Tisches, „es hat keinen Zweck mehr, unsere Zahl noch weiter zu verringern. Wenn es uns sechsen nicht gelingt, die Katastrophe zu überdauern, dann gelingt es dreien auch nicht.“
„Das ist nicht gesagt“, meinte ein anderer, „aber falls es nötig sein sollte, können wir ja immer noch darüber reden. Später, meine ich.“ Eine Weile war es still, dann erklärte einer: „Wie gut, daß die Tür zu den Vorrats-Speichern gerade offenstand, als die Katastrophe begann. Wäre sie im entscheidenden Augenblick geschlossen gewesen, dann könnte sie jetzt keine Macht der Welt öffnen. Wir wären verloren.“
„Leider haben Sie nicht ganz recht, mein Bester“, antwortete ein anderer. „Indem das Tor offensteht, entweicht die Kälte aus den Gefrier-Kellern. Nach und nach werden die Stunden-Blumen auftauen. Und Sie alle wissen, daß wir sie dann nicht mehr daran hindern können, dorthin zurückzukehren, wo sie hergekommen sind.“
„Sie meinen“, fragte ein dritter, „daß unsere Kälte jetzt nicht mehr ausreicht, die Vorräte tiefgekühlt zu halten?“
„Wir sind leider nur sechs“, erwiderte der zweite Herr, „und Sie können sich selbst ausrechnen, wieviel wir ausrichten können. Mir scheint, es war ziemlich voreilig, unsere Anzahl derartig rigoros zu vermindern. Wir werden nichts dabei gewinnen.“
„Für eine von beiden Möglichkeiten mußten wir uns entscheiden“, rief der erste Herr, „und wir haben uns entschieden.“ Wieder entstand eine Stille.
„So werden wir also nun vielleicht jahrelang sitzen und nichts tun, als uns gegenseitig bewachen“, meinte einer. „Ich muß gestehen – eine trostlose Vorstellung.“
Momo dachte nach. Hier nur zu sitzen und weiter zu warten, hatte gewiß keinen Sinn. Wenn es keine grauen Herren mehr gab, dann würden die Stunden-Blumen also von selbst auftauen. Aber vorläufig gab es die grauen Herren ja noch. Und es würde sie immer weiter geben, wenn sie nichts tat.
Aber was konnte sie tun, da die Tür zu den Vorrats-Speichern ja offenstand und die Zeit- Diebe sich nach Belieben Nachschub holen konnten? Kassiopeia strampelte, und Momo schaute sie an. „DU MACHST DIE TÜR zu!“ stand auf ihrem Panzer. „Das geht nicht!“ flüsterte Momo. „Sie ist doch unbeweglich.“
„MIT DER BLUME BERÜHREN!“ war die Antwort. „Ich kann sie
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