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Momo

Momo

Titel: Momo
Autoren: Michael Ende
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war wie eine Fotografie, rannten und jagten die grauen Herren. Und Momo immer hinterdrein, doch immer vorsichtig darauf bedacht, von den Zeit-Dieben nicht bemerkt zu werden. Aber die achteten sowieso auf nichts mehr, denn ihre Flucht gestaltete sich immer schwieriger und anstrengender. Sie waren ja nicht daran gewöhnt, so große Strecken im Laufschritt zurückzulegen. Sie keuchten und rangen nach Atem. Dabei mußten sie immer noch ihre kleinen grauen Zigarren, ohne die sie ja verloren waren, im Mund behalten. Manch einem entglitt die seine im Laufen, und ehe er sie noch auf dem Boden wiederfinden konnte, löste er sich bereits auf.
Aber nicht nur diese äußeren Umstände machten ihre Flucht immer beschwerlicher, sondern mehr und mehr drohte jetzt schon Gefahr von seiten der eigenen Leidensgenossen. Manche nämlich, deren eigene Zigarren zu Ende brannten, rissen in der Verzweiflung einfach einem anderen die seine aus dem Mund. Und so verringerte sich ihre Anzahl langsam, aber ständig.
Diejenigen, die noch einen kleinen Vorrat von Zigarren in ihren Aktentaschen trugen, mußten sehr achtgeben, daß die anderen nichts davon merkten, sonst stürzten sich die, welche keine mehr hatten, auf die Reicheren und versuchten, ihnen ihre Schätze zu entreißen. Es gab wilde Schlägereien. Ganze Haufen von ihnen warfen sich aufeinander, um etwas von den Vorräten zu grapschen. Dabei rollten die Zigarren über die Straße und wurden im Tumult zertreten. Die Angst, von der Welt verschwinden zu müssen, hatte die grauen Herren vollkommen kopflos gemacht.
Und noch etwas bereitete ihnen immer zunehmende Schwierigkeiten, je weiter stadteinwärts sie kamen. An manchen Stellen der großen Stadt stand die Menschenmenge so dicht, daß sich die grauen Herren nur mühsam zwischen den Leuten durchschieben konnten, als seien diese Bäume in einem dichten Wald. Momo, die ja klein und schmal war, hatte es da natürlich bedeutend leichter. Aber selbst ein Flaumfederchen, das reglos in der Luft hing, war so unbeweglich, daß die grauen Herren sich fast die Köpfe daran einschlugen, wenn sie aus Versehen dagegen rannten.
Es war ein langer Weg, und Momo hatte keine Ahnung, wie lang er noch sein würde. Besorgt blickte sie auf ihre Stunden-Blume. Aber die war inzwischen erst voll aufgeblüht. Noch bestand also kein Grund zur Sorge.
Doch dann geschah etwas, was Momo augenblicklich alles andere vergessen ließ: Sie erblickte in einer kleinen Seitenstraße Beppo Straßenkehrer! „Beppo!“ schrie sie, außer sich vor Freude, und rannte zu ihm hin. „Beppo, ich hab' dich überall gesucht! Wo warst du denn die ganze Zeit? Warum bist du nie gekommen? Ach, Beppo, lieber Beppo!“ Sie wollte ihm um den Hals fallen, aber sie prallte von ihm ab, als ob er aus Eisen wäre. Momo hatte sich ziemlich weh getan, und die Tränen schossen ihr in die Augen. Schluchzend stand sie vor ihm und schaute ihn an.
Seine kleine Gestalt wirkte noch gebückter als früher. Sein gutes Gesicht war ganz schmal und ausgezehrt und sehr blaß. Um das Kinn war ihm ein weißer, struppiger Stoppelbart gewachsen, denn zum Rasieren hatte er sich keine Zeit mehr genommen. In den Händen hielt er einen alten Besen, der schon ganz abgenützt war vom vielen Kehren. So stand er da, reglos wie alles andere, und schaute durch seine kleine Brille vor sich auf den Schmutz der Straße.
Jetzt endlich hatte Momo ihn also gefunden, jetzt, wo es gar nichts mehr half, weil sie sich ihm nicht mehr bemerkbar machen konnte. Und vielleicht würde es das letzte Mal sein, daß sie ihn sah. Wer konnte wissen, wie alles ausgehen würde. Wenn es schlecht ausging, würde der alte Beppo in alle Ewigkeit so hier stehen. Die Schildkröte zappelte in Momos Arm.
„WEITER!“ stand auf ihrem Panzer. Momo rannte auf die Hauptstraße zurück und erschrak.
Keiner der Zeit-Diebe war mehr zu sehen! Momo lief ein Stück in der Richtung, in welcher vorher die grauen Herren geflüchtet waren, aber vergebens. Sie hatte ihre Spur verloren! Ratlos blieb sie stehen. Was sollte sie nun tun? Fragend blickte sie auf Kassiopeia.
„DU FINDEST SIE , LAUF WEITER!“ lautete der Rat der Schildkröte. Nun, wenn Kassiopeia vorherwußte, daß sie die Zeit-Diebe finden würde, dann war es ja auf jeden Fall richtig, ganz gleich, welchen Weg Momo einschlug.
Sie lief also einfach weiter, wie es ihr gerade in den Sinn kam, mal links, mal rechts, mal geradeaus.
Inzwischen war sie in jenen Teil am nördlichen Rande der großen Stadt gekommen,
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