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Mönchsgesang

Mönchsgesang

Titel: Mönchsgesang
Autoren: Günter Krieger
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hätten sich längst auch bei mir eingestellt. Trotzdem waren meine Nachbarn sichtlich froh, als sie sahen, wie ich mein Pferd sattelte.«
    »Und die Beerdigung?«
    »Hat längst stattgefunden.«
    »Was?« Mathäus' Gesicht begann sich rötlich zu verfärben. »Und du hast mich nicht rufen lassen? Zur Beerdigung meiner eigenen Mutter?«
    Der Alte schnaubte verächtlich. »Junge, weißt du überhaupt, was los ist auf der Welt? Glaubst du etwa, man hätte deine Mutter mit feierlichem Brimborium und einer endlosen Prozession unter die Erde gebracht?« Er erhob seine Stimme. »Sie starb an der Pest! Weißt du, was das heißt? Städtische Knechte in albernen Totengewändern haben den Leichnam deiner Mutter in eine schmutzige Karre geladen und ihn vor den Toren der Stadt verscharrt, bevor ich überhaupt etwas sagen konnte. Und die Tür meines Hauses haben sie mit roter Farbe beschmiert.« Nun begann er zu schreien: »Und wer, glaubst du, hat mir Beileid gewünscht oder Trost gespendet? Keine Menschenseele! Alle glaubten, ich könnte ebenfalls erkrankt sein. Aus diesem Grund hat auch niemand mehr meinen Laden betreten, verstehst du? Und dann kommst du und machst mir Vorwürfe!«
    Mathäus hob beschwichtigend seine Hand. »Niemand macht dir Vorwürfe, Vater. Es … tut mir Leid.«
    »So? Es tut dir Leid? Natürlich tut es dir Leid. Und mir tut es Leid, dass du in diesem Nest am Ende der Welt versauerst, während ich meinen Lebensabend damit verbringen muss, meine Existenz neu zu sichern.«
    Mathäus wusste, worauf der Vater hinauswollte. »Du weißt, dass ich kein kaufmännisches Talent besitze, Vater.«
    »Ach nein? Aber Talent, in einem dreckigen Bauerndorf den Wichtigen zu spielen, das hast du, ja?«
    »Vater, bitte! Es ist wirklich nicht der richtige Augenblick, sich jetzt darüber zu streiten.«
    Wieder wollte der Alte aufbrausen, doch der flehende Blick des Sohnes ließ ihn innehalten. »Warum gehst du nicht wenigstens zurück nach Nideggen?«, fragte er dann ruhiger.
    »Ich muss dorthin, wo der Markgraf mich einsetzt, das weißt du doch, Vater.«
    Ein zynisches Lachen war die Antwort. »Ja, ja, natürlich. Wer die Base des Markgrafen als dumme Eule bezeichnet, muss sich nicht wundern, wenn er sich am Arsch der Welt wiederfindet.«
    »Bitte, fang nicht schon wieder damit an.«
    »Warum konntest du gottverdammter Esel auch nicht dein saudummes Mundwerk halten?«
    Mathäus ließ nun sämtliche Zurückhaltung außer Acht. »Vielleicht habe ich mein saudummes Mundwerk ja von meinem hochverehrten Vater geerbt!«, schrie er aufgebracht.
    Der Vater sah ihn verständnislos an. »Ach, ich bin also der Schuldige?«, erwiderte er mit zuckersüßer Ironie.
    Mathäus holte tief Atem. Sein Wutanfall tat ihm längst Leid. »Natürlich bist nicht du der Schuldige«, sagte er versöhnlich. »Aber was ich zu der Base des Markgrafen gesagt habe, das habe ich gesagt. Und wahrscheinlich würde ich es wieder sagen, denn stell dir vor: Sie ist tatsächlich eine dumme Eule!«
    Zum ersten Mal zeigte sich der Ansatz eines Lächelns auf den Mundwinkeln des Vaters.
    »Und was dieses Nest hier am Arsch der Welt angeht«, fuhr Mathäus fort, »kannst du dir nicht vorstellen, dass ich hier glücklich bin?«
    »Ach du Schreck. Das hört sich ja beinahe so an, als hättest du hier ein Weibsbild.«
    »Weibsbild ist vielleicht der falsche Ausdruck. Sie ist meine Gefährtin. Und sie ist das bezauberndste Mädchen unter Gottes weitem Himmel.«
    »Ist sie … eine Bauerntochter?«
    »In der Tat, das ist sie.«
    Der Alte vergrub sein Gesicht. »Oh Gott!«, stammelte er.
    Mathäus verbiss sich einen weiteren Kommentar. Noch einmal atmete er tief durch. »Sicherlich möchtest du gerne etwas essen und trinken, Vater.«
    »Ich bin nicht zum Schmausen hergekommen.«
    Mathäus schenkte seinen Worten keine Beachtung. Er holte Wein und zwei Becher aus einer Kammer, entfachte ein Herdfeuer und begann in einem Kessel zu rühren. Wortlos servierte er dem Vater schließlich einen Teller mit dampfender Brühe und ein Stück weißes Brot. Der Alte nippte an seinem Becher, griff dann missmutig nach dem Hornlöffel und schlürfte hungrig seine Brühe. Mathäus setzte sich wieder hin und betrachtete den Vater. Vor zwei Jahren hatte er ihn zuletzt gesehen, doch er schien sichtlich gealtert. Zudem hatten sich unter seinen Augen – wahrscheinlich aus Gram – ein paar dunkle Ränder gebildet.
    »Bevor sie in ein Fieberdelirium fiel«, sagte der Alte plötzlich, als sei es
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