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Mönchsgesang

Mönchsgesang

Titel: Mönchsgesang
Autoren: Günter Krieger
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dennoch wirkte er wesentlich reifer. Im gleichen Maße, wie Paulus den Dorfherrn seine Verachtung spüren ließ, zeigte Rikalt ihm seine Bewunderung, nannte ihn – wenn niemand zuhörte – sogar manchmal ›Oheim Mätthes‹. Und seit Mathäus im vergangenen Sommer die beiden Mädchenmorde aufgeklärt hatte, war Rikalts Bewunderung ins Unermessliche gestiegen. Der dritte Mann, der dort am Tisch saß und ihn anstarrte, war ein Mönch in einer dunklen Kutte. Ein rotweißes Kreuz auf seiner Brust wies ihn als Kreuzbruder aus. Er war ein Mann mittleren Alters, sein Gesicht glatt rasiert und die Pupillen seiner kleinen Augen in stetiger Bewegung. Seine Wangen leuchteten so rot wie der Längsbalken des Kreuzes auf seiner Kutte.
    Mathäus verneigte sich vor den drei Herren.
    »Herr Mathäus, nehmt bitte Platz«, forderte der junge Rikalt ihn auf.
    Der Dorfherr setzte sich. Er bemühte sich, gelassen zu erscheinen, obwohl er gespannt war wie ein Bogen. Paulus, der Burgvogt, weidete sich noch eine Weile an der Unwissenheit des Dorfherrn. Endlich deutete er mit seiner ausgestreckten Hand auf den Mönch zu seiner Linken. »Das ist Bruder Walraf, Cellarius und Bote vom Kloster Schwarzenbroich, das unser verehrter Ahnherr Werner und seinem Sohn vor vielen Jahren zu gründen vergönnt war.«
    Mathäus kämpfte schon jetzt mit sich, dem Burgvogt nicht ins Wort zu fallen. Paulus schien wieder einmal vergessen zu haben, dass er lediglich Rikalts Vormund vertrat, den Ritter Gerhard von Wedendorp, einen Verwandten der Merode, der aber nur selten in der Herrschaft weilte. Mit den verehrungswürdigen Ahnen der Herren von Merode hatte der Burgvogt selbst nicht das Geringste zu tun.
    Rikalt zwinkerte dem Dorfherrn fast unmerklich zu. Der beschloss schmunzelnd, die Bemerkung, die ihm auf der Zunge lag, zu verschlucken.
    »Nun, verehrter Dorfherr«, fuhr Paulus fort, »vielleicht ist es besser, ich lasse nun unseren Bruder selbst berichten, was ihn zu uns führt.«
    »Ja, Herr Paulus, das halte auch ich für besser«, sagte Mathäus gedehnt und richtete seinen Blick auf den Mönch. Bruder Walraf ließ seine verschränkten Hände in den Ärmeln der Kutte verschwinden und streckte seinen Oberkörper hoch. Sein kahler Kopf stülpte sich nach vorne, so dass seine Bewegungen etwas Echsenartiges hatten. Das Rot seiner Wangen schien sich noch zu verstärken, als er zum Sprechen ansetzte.
    »Zunächst einmal möchte ich im Namen meines Priors dem Herrn Rikalt von Merode herzlichste Grüße aussprechen, dessen Großvater Werner – Gott sei seiner Seele gnädig – einer himmlischen Eingebung folgend einst unser schönes Kloster Schwarzenbroich im Herzen des hiesigen Waldes gründete und – damit nicht genug – das Kloster zudem mit zahlreichen Schenkungen bedachte. Außerdem lässt der Prior dem Herrn von Merode ausrichten, dass er den Segen Gottes auf Euch und Eure Untertanen herabbittet.«
    Rikalt nickte freundlich. »Danke, Bruder. Fahrt nun fort.«
    Der Mönch verzog keine Miene. In einem Tonfall, der erahnen ließ, dass er jedes Wort seiner Rede im Voraus sorgfältig abgewogen hatte, fuhr er fort.
    »Unser verehrter Bruder in Christo, Adam, wurde am heutigen Morgen im Bett seiner Zelle tot aufgefunden. Unser Pater Prior lässt höflichst anfragen, ob der Dorfherr von Merode, der dem Herrn Rikalt untersteht, bereit wäre, den Leichnam des Verstorbenen zu begutachten.«
    Mathäus beugte sich vor. »Starb Euer Mitbruder eines natürlichen Todes?«
    Niemandem entging, wie der Mönch diesmal mit seiner Antwort zögerte. »Bruder Adam starb eines natürlichen Todes«, behauptete er.
    »War er alt?«
    »Bruder Adam war der älteste Mitbruder in unserem Konvent.«
    Mathäus spreizte die Hände. »Bruder Walraf, gestattet mir eine Frage: Wenn Euer Mitbruder schon sehr alt war und er eines natürlichen Todes starb, wozu soll dann eine Leichenbeschauung nütze sein?«
    Der Mönch hüstelte, bevor er mit seiner monotonen Stimme antwortete. »Unser Pater Prior versichert Euch, dass in unserem Konvent alles mit rechten Dingen zugehe, er aber trotzdem seine Gründe habe, Euch rufen zu lassen. Diese Gründe aber wolle er Euch lieber selber erläutern.«
    Paulus grinste durch seinen dunklen Bart. »Tja, werter Dorfherr, so kann's gehen: Kaum kommt der gute Vater mal zu Besuch, rufen schon die Pflichten.«
    Mathäus warf ihm einen giftigen Blick zu. Aber dass der Burgvogt überall seine Spitzel hatte, die ihm selbst zu berichten schienen, wenn ein
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