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Moderne Piraten

Titel: Moderne Piraten
Autoren: Hans Dominik
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Boxerweise zu begegnen.
    Morton zog es vor, sich zurückzuziehen, während er laut schimpfte. »Ich will dich lehren, hinter den Fahrgästen her zu spionieren und fremde Gespräche zu belauschen!«
    Gransfeld und Lüders waren inzwischen hinzugekommen, um der Szene ein Ende zu machen. Auf einen Wink des Schiffsarztes ging der Steward ruhig fort.
    »Mr. Morton«, wandte sich Doktor Lüders in gutem Englisch an den Schotten, »es ist nicht erlaubt, Leute der Besatzung zu schlagen. Wenn Sie glauben, Grund zu einer Beschwerde zu haben, wollen Sie diese gefälligst an der zuständigen Stelle, das heißt beim Kapitän, vorbringen!«
    Den Herren Morton und van Holsten war das Dazwischentreten des Schiffsarztes offenbar peinlich, peinlicher vielleicht noch der scharfe, durchdringende Blicke, mit dem Gransfeld sie während der ganzen Zeit musterte. Verlegen wandten sie sich ab, während Lüders und Gransfeld nach dem Promenadendeck gingen.
    »Die beiden Herren haben mir von allem Anfang an nicht gefallen«, sagte Gransfeld. »Weiß der Kuckuck, woran das liegt! Ich fühle eine unwillkürliche Abneigung. Dabei sind es eigentlich ganz gewöhnliche Durchschnittsgesichter. Aber die Roheit gegen den Jungen – warum, weshalb?«
    »Viel Scharfsinn gehört nicht dazu, Kollege, um das zu erraten. Der Mister und der Mynheer haben sich wohl über Dinge unterhalten, die kein Dritter hören soll. Wer weiß, was für dunkle Geschäfte die betreiben! Ihr schlechtes Gewissen hat unserm Freunde Rudi unverdientermaßen zu einem blauen Fleck verholfen. Na, das kann bei der Seefahrt schon mal vorkommen!« —
    Wie ein Purpurball war die Sonne versunken. Nur noch kurze Zeit leuchtete das Meer im Westen in roten und goldenen Tönen. Schnell kam die volle Dunkelheit der Nacht. In stillem Glanz schimmerte das Firmament, während eine leichte Westbrise Kühlung brachte.
    Die Abendmahlzeit war vorüber. Auf dem Promenadendeck hatte Gransfeld es sich bequem gemacht und sich ein Bier bestellt. Es war Rudi, der es ihm brachte. Gransfeld sprach ihn an. »Sie hatten heute ein unangenehmes Zusammentreffen mit dem langen Engländer. Ist alles wieder in Ordnung, oder haben Sie sich etwa über ihn beschwert?«
    Der Junge zuckte die Achseln. »Es kommt nichts dabei heraus, Herr. Am liebsten hätte ich dem Menschen sofort einen soliden Kinnhaken verpaßt, aber meine Stellung an Bord … Ich darf mir so etwas nicht erlauben. Gott sei Dank hat unser Doktor ihm wenigstens die Meinung gesagt.«
    Es waren nur wenige Fahrgäste auf Deck, und die Dienste des Jungen wurden kaum beansprucht. So konnte sich Gransfeld ungestört mit ihm unterhalten und erfuhr im Verlauf einer halben Stunde seine ganze Lebensgeschichte. Er hieß Rudi Wagner und war ein gebürtiger Berliner, achtzehn Jahre alt. Schulbildung? Hier wurden die Angaben Rudis lückenhaft; nur das Wort Obertertia war gefallen. Dann kam eine Lehrzeit in einem Berliner Hotel. Vor Jahresfrist waren beide Eltern schnell hintereinander gestorben. Da hielt ihn nichts mehr in Berlin. Durch die Vermittlung eines Verwandten in Hamburg hatte er die Stellung als Steward auf der »Usakama« bekommen. »Warum soll ich in Berlin kleben, Herr Doktor? Man ist jung und will die Welt kennenlernen. Außerdem habe ich hier Gelegenheit, mich in Sprachen zu vervollkommnen, die für bessere Hotelstellungen nötig sind. Zwei Reisen mache ich noch mit der ›Usakama‹. Dann will ich auf einem der großen afrikanischen Dampfer unserer Linie anmustern.«
    Als Rudi ihn verließ, um andere Gäste zu bedienen, ging Doktor Gransfeld das Gehörte noch geraume Zeit durch den Kopf. Ein netter, anstelliger Junge! dachte er. Der wird mal seinen Weg machen.
    Andere Leute an Bord dachten anders über Rudi. Mister Morton und der Obersteward Rasati standen in einem Winkel im Mitteldeck. Rudi, der Erfrischungen auf das Promenadendeck brachte, kam an ihnen vorbei.
    »Rasati, versteht der Lümmel da Französisch?«
    »Selbstverständlich. Spricht nicht gerade fließend, aber doch einigermaßen.«
    »Würde er es verstehen, wenn man ihn fragte: ›Was machen Sie hier?‹«
    »Natürlich, Morton, das muß er verstehen; hat ja lange genug französische Gäste bei Tisch bedient.«
    »So? Der Bursche versteht Französisch?« Danach gab es im Flüsterton ein langes vertrauliches Gespräch zwischen Rasati und Morton, dessen Gegenstand Rudi bildete.
    *
    Geräuschlos glitten die nackten Sohlen des indischen Boys über die Veranda des Bungalows. Schweigend setzte
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