Modemädchen Bd. 2 - Wie Marshmallows mit Seidenglitzer

arbeitet. Und sie mag ihn echt gerne und alles, aber sie fand, es wäre besser, wenn erst mal jeder seine eigene Wohnung behält. Irgendwie hat sich der Streit darüber dann verselbstständigt.«
    Das ist alles? Sie haben sich getrennt, weil sie sich nicht einigen konnten, wann sie ZUSAMMENZIEHEN? Die ganze Zeit dachte ich an gebrochene Herzen und Shakespeare-Tragödien, dabei ging es nur um das Wohnarrangement ? Ich gebe es auf, Beziehungen verstehen zu wollen. Gott sei Dank habe ich Prüfungen, über die ich mir den Kopf zerbrechen kann.
    In diesem Moment meldet sich die Lautsprecheransage und schickt uns zurück auf unsere Plätze für den zweiten Akt.
    Lulu verabschiedet sich hastig und ich gehe wieder zu meinem Platz, wo Krähe wartet. Als ich ihr von der Sache mit der Wohnung erzähle, wirkt sie allerdings überhaupt nicht überrascht.
    »Außerdem«, sagt sie, als der Vorhang hochgeht, »ist da auch noch Isabelle.«
    Isabelle? Isabelle? Isabelle wer?
    »Isabelle wer?«, flüstere ich laut.
    Doch Krähe legt nur den Finger an die Lippen und zeigt zur Bühne, wo Jenny mit ihrem großen Monolog auftritt. Und grinst schweigend, als sie mein Gesicht sieht.

Ach, die Isabelle.
    Endlich sind die Prüfungen vorbei. Harry hat in der Küche einen Projektor aufgestellt und Mum hat ihm erlaubt etwa zwanzig gerahmte Fotos von der Wand zu nehmen, damit er uns seine fertige Diplomarbeit zeigen kann. Er ist schrecklich nervös. Zum Teil wegen dem, was das Publikum am Central Saint Martins College sagen wird, aber hauptsächlich wegen dem, was Mum sagt. Mum liebt Harry abgöttisch, aber er macht sie wahnsinnig. Und Harry und ich wissen, dass Mum, wenn es um Kunst geht, extrem anspruchsvoll ist. Wenn ihr etwas gefällt, schwebst du wochenlang auf Wolke sieben. Wenn nicht, willst du dir ein Loch buddeln und dich selbst beerdigen.
    Ursprünglich wollte Harry ein großer Maler werden. Oder ein großer Fotograf. Aber jetzt wissen wir, dass er ein großer DJ ist, und Kunst zu studieren war vielleicht nicht seine beste Entscheidung. Andererseits, wenn du Mum zur Mutter hast und halbwegs zeichnen kannst (im Gegensatz zu mir), lässt sich das Kunststudium wohl kaum vermeiden. Außerdem hat er einen Kompromiss gefunden. Seine Diplomarbeit besteht aus drei Videos, bei denen es – dreimal dürft ihr raten – vor allem auf den Soundtrack ankommt. Wir wissen, dass er die meiste Zeit an der Musik geschliffen hat und kaum an den Videos, aber glücklicherweise hatte er Hilfe.
    Isabelle.
    Die Videos zeigen eine Reihe von Aufnahmen von ihr, wie sie über einen Laufsteg geht – in zarten, geisterhaften Kleidern (natürlich von Krähe entworfen, so haben sie sich kennengelernt) und mit wallendem langem blonden Haar. Der Clou ist, dass eines der Videos rückwärtsläuft, und in einem anderen geht sie rückwärts. Anscheinend lieben sie an der Kunstschule solche Sachen. Sie müssen auch nicht versuchen auf schwindelerregenden Stilettos rückwärtszugehen.
    Bei Isabelle sieht es allerdings ganz einfach aus. Und irgendwie geheimnisvoll. Der Hintergrund liegt im Dunkeln, so dass es scheint, als würde sie aus dem Nichts auftauchen (und darin verschwinden), während ihre Füße durch sanften Nebel schweben. Mum nickt wissend, als wäre es unglaublich künstlerisch. Ich nicke wissend, weil es unglaublich geschummelt ist. Denn das Nichts und der Nebel heißen: keine Accessoires, keine teuren Outfits, kein Hintergrund, keine komplizierte Beleuchtung, alles Dinge, die ich letztes Jahr organisieren musste. Das Einzige, was Harry brauchte, war eine Nebelmaschine. Und ein hübsches Mädchen mit guter Balance.
    Isabelle ist ein sehr hübsches Mädchen. Isabelle ist Isabelle Carruthers. Lady Isabelle Carruthers, um genau zu sein. Sie ist neunzehn, blass, zart und entzückend. Sie ist berühmt für ihre fast hüftlangen Ringellocken, die graugrünen Augen, die blasse, sommersprossige Haut und die sinnlichen Lippen. Vor kurzem hat sie ihr Englischexamen in Oxford verschoben, um INTERNATIONALES COVERGIRL zu werden. Außerdem ist sie bekannt als Muse von zwei Modeschöpfern, einem in Paris und dem anderen in London.
    Sie könnte in einem Müllsack über die überfüllte Kensington High Street gehen und Harrys Videos wären immer noch spektakulär. Aber so sind Harrys Videos mehr als spektakulär. Am Ende laufen Mum Tränen über die Wangen.
    »Du verdienst es nicht, Darling«, sagt sie und schließt ihn in die Arme. »Gott weiß, dass du es nicht verdienst