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Mitternachtsfalken: Roman

Titel: Mitternachtsfalken: Roman
Autoren: Ken Follett
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Maschine flog gleichmäßig weiter. Wieder zog er die Nase ein Stück nach oben und wagte einen kurzen Blick auf den Höhenmesser. Er befand sich im Steigflug. Erleichtert atmete er auf.
    »Pass bloß auf, du Idiot!«, wies er sich zurecht. »Du musst wach bleiben! Schlaf bloß nicht wieder ein!«
    Er blieb im Steigflug. Die Wolke löste sich auf, und die Hornet Moth flog in einen klaren Morgen hinein. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es vier war, kurz vor Sonnenaufgang. Er hob den Kopf und schaute durch das durchsichtige Kabinendach. Zu seiner Rechten erblickte er den Polarstern – der Kompass funktionierte also, und sie flogen immer noch nach Westen.
    Aus Angst vor einer weiteren Begegnung mit den Wellen setzte Harald den Steigflug eine halbe Stunde lang fort. Die Temperatur sank, und durch das Fenster, das er für seine improvisierte Benzinleitung hinausgedrückt hatte, drang sehr kalte Luft herein. Er wickelte die Wolldecke um sich. In dreitausend Meter Höhe wollte er den Steigflug beenden, als der Motor unvermittelt zu husten begann.
    Im ersten Moment konnte er sich nicht vorstellen, woher das Geräusch kam. Das Dröhnen des Motors war stundenlang so gleichmäßig gewesen, dass er es gar nicht mehr bewusst wahrgenommen hatte.
    Wieder hustete der Motor. Harald erkannte, dass es sich um eine Fehlzündung handeln musste.
    Ihm blieb vor Schreck schier das Herz stehen. Sie waren nach allen Himmelsrichtungen um die dreihundert Kilometer von jeglichem Land entfernt. Wenn der Motor jetzt versagte, stürzten sie direkt ins Meer.
    Der Motor hustete zum dritten Mal.
    »Karen!«, brüllte Harald. »Wach auf!«
    Karen schlief weiter. Harald nahm die Hand vom Steuerknüppel und rüttelte sie an der Schulter. »Karen!«
    Sie schlug die Augen auf. Der Schlaf schien ihr gut getan zu haben; sie wirkte ruhiger und weniger fiebrig. Doch als sie den Motor stottern hörte, trat ein ängstlicher Ausdruck in ihre Augen. »Was ist los?«
    »Ich weiß es nicht!«
    »Wo sind wir jetzt?«
    »In der Mitte von Nirgendwo.«
    Der Motor hustete und spuckte weiter.
    »Womöglich müssen wir notwassern«, sagte Karen. »Wie hoch sind wir?«
    »Dreitausend Meter.«
    »Ist der Gashebel ganz offen?«
    »Ja, ich bin gestiegen.«
    »Dann liegt‘s daran. Nimm das Gas auf halbe Position.«
    Er zog den Hebel zurück.
    »Bei Vollgas«, sagte Karen, »saugt der Motor Luft von außen an, nicht die Luft unter der Motorhaube. Die Außenluft ist aber kälter – und in dieser Höhe sogar so kalt, dass der Vergaser vereist.«
    »Was sollen wir tun? Was macht man da?«
    »Sinken.« Karen griff nach dem Steuerknüppel und schob ihn vor. »Je tiefer wir gehen, desto höher sollte die Temperatur steigen, und dann schmilzt das Eis – allmählich.«
    »Und wenn es nicht schmilzt.?«
    »Halt Ausschau nach einem Schiff. Wenn wir notwassern müssen, kann die Besatzung uns retten.«
    Harald suchte das Meer rund um den Horizont ab, konnte jedoch nirgendwo ein Schiff entdecken.
    Mit dem stotternden Motor verloren sie schnell an Höhe. Harald nahm die Axt aus der Ablage und hielt sie bereit, um im Notfall, wie geplant, eine Tragfläche abzuschlagen, die ihnen dann als Floß dienen konnte. Außerdem steckte er die Wasserflaschen in seine beiden Jackentaschen. Ob sie auf dem Meer überhaupt lange genug überleben würden, um verdursten zu können, wusste er nicht.
    Er behielt den Höhenmesser im Auge. Sie kamen auf dreihundert Meter herab, dann auf hundertfünfzig. Das Meer sah schwarz und kalt aus. Noch immer war nirgends ein Schiff in Sicht.
    Eine unheimliche Ruhe überkam Harald. »Ich glaube, das überstehen wir nicht«, sagte er. »Es tut mir Leid, dass ich dich da mit hineingezogen habe.«
    »Wir sind noch nicht am Ende«, gab Karen zurück. »Sieh zu, ob du noch ein paar Drehzahlen mehr rauskitzeln kannst, damit wir nicht zu hart aufschlagen.«
    Harald schob den Gashebel vor. Das Dröhnen des Motors wurde heller. Er stotterte, zündete, stotterte.
    »Ich glaube nicht«, sagte Harald.
    Im selben Augenblick schien sich der Motor zu fangen.
    Sekundenlang dröhnte der Motor gleichmäßig, und Harald hielt den Atem an. Dann gab es erneut eine Fehlzündung. Doch schließlich stabilisierte sich das Motorgeräusch, und die Maschine begann wieder zu steigen.
    Harald und Karen jubelten gleichzeitig auf.
    Die Drehzahl stieg auf neunzehnhundert, ohne einen Schlag auszusetzen. »Das Eis ist geschmolzen!«, sagte Karen.
    Harald gab ihr einen Kuss. Das war gar nicht so
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