Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Mitternachtsfalken: Roman

Titel: Mitternachtsfalken: Roman
Autoren: Ken Follett
Vom Netzwerk:
Piloten, verlobt war.
    Dann, am 9. April 1940, waren Hitlers Truppen in Dänemark einmarschiert. Nach vier Tagen voller Angst und Unsicherheit bestiegen Hermia und eine Gruppe britischer Regierungsangestellter einen für Diplomaten reservierten Sonderzug, der sie via Norddeutschland an die holländische Grenze brachte. Durch die neutralen Niederlande gelangten sie zurück nach London.
    Inzwischen war Hermia dreißig Jahre alt und leitete die für Dänemark zuständige Abteilung beim MI6. Zusammen mit den meisten anderen Mitarbeitern des Dienstes war sie vom Londoner Hauptquartier am Broadway 54 unweit des Buckingham-Palastes evakuiert und nach Bletchley Park versetzt worden. Das große Landhaus lag am Rande eines Dorfes, ungefähr achtzig Kilometer nördlich der Hauptstadt.
    Eine hastig zusammengebaute Nissenhütte auf dem Gelände diente als Kantine. Hermia war froh, dass ihr die Bombenangriffe auf London erspart blieben, hätte sich aber gewünscht, dass durch irgendeine wundersame Fügung auch eines der hübschen kleinen italienischen oder französischen Restaurants evakuiert worden wäre, damit man wenigstens etwas Anständiges zu essen bekäme. Weil dieser Wunsch aber nicht in Erfüllung gegangen war, schob sie sich eine Gabel voll Kartoffelbrei in den Mund und zwang sich dazu, ihn hinunterzuschlucken.
    Um sich von dem schauderhaften Geschmack abzulenken, legte sie den Daily Express neben ihren Teller und begann zu lesen. Die britischen Truppen hatten gerade die griechische Insel Kreta verloren. Der Express versuchte die Niederlage zu beschönigen, indem er darauf hinwies, dass Hitler 18.000 Tote und Verwundete zu beklagen hätte, doch konnte dies nicht über die deprimierende Tatsache hinwegtäuschen, dass sich die lange Reihe erfolgreicher Militäraktionen der Nazis fortgesetzt hatte.
    Als Hermia von der Zeitung aufblickte, sah sie einen kleinen Mann, der ungefähr in ihrem eigenen Alter war, auf ihren Tisch zukommen. In der Hand hielt er eine Tasse Tee. Obwohl er unverkennbar hinkte, ging er ziemlich schnell. »Darf ich mich zu Ihnen setzen?«, fragte er freundlich und nahm, ohne ihre Antwort abzuwarten, auf dem Stuhl gegenüber Platz. »Ich bin Digby Hoare«, stellte er sich vor. »Und wer Sie sind, ist mir bekannt.«
    Hermia zog eine Augenbraue hoch. »Bitte sehr, machen Sie sich‘s bequem«, sagte sie.
    »Danke«, erwiderte er. Die leichte Ironie in ihrer Stimme schien ihn nicht zu berühren.
    Sie hatte den Mann schon ein- oder zweimal auf dem Gelände gesehen. Trotz seiner Gehbehinderung wirkte er energisch. Mit seinen ungebändigten dunklen Haaren war er alles andere als ein Matinee-Idol, doch hatte er nette blaue Augen, und seine Züge waren angenehm uneben – so ein bisschen wie bei Humphrey Bogart.
    »Bei welcher Abteilung sind Sie?«, wollte Hermia wissen.
    »Eigentlich arbeite ich in London.«
    Das ist keine Antwort auf meine Frage, dachte sie und schob ihren Teller beiseite.
    »Das Essen schmeckt Ihnen nicht?«
    »Ihnen etwa?«
    »Ich sage Ihnen eines: Ich habe Piloten befragt, die über Frankreich abgeschossen wurden und sich bis nach Hause durchgeschlagen haben. Wir bilden uns ein, dass bei uns Notzeiten herrschen, aber in Wirklichkeit haben wir gar keine Ahnung, was das heißt. Die Franzmänner sind am Verhungern. Nach dem, was ich von den Piloten zu hören bekommen habe, schmeckt mir hier alles.«
    »Notzeiten sind keine Ausrede für grauenhafte Kochkünste«, gab Hermia schnippisch zurück.
    Hoare grinste. »Man hat mir schon gesagt, dass Sie ein bisschen biestig sind.«
    »Und was sonst noch?«
    »Dass Sie zweisprachig sind, englisch und dänisch – was vermutlich der Grund dafür ist, dass Sie die Dänemark-Abteilung leiten.«
    »Nein. Der Grund dafür ist der Krieg. Vor dem Krieg hat es keine Frau beim MI6 weiter als bis zur Aushilfssekretärin gebracht. Wir konnten nicht analytisch denken, wissen Sie. Wir waren eher zur Hausarbeit und zur Kinderaufzucht geeignet. Erst mit dem Kriegsausbruch veränderten sich die Frauenhirne in höchst bemerkenswerter Weise. Inzwischen sind wir sogar in der Lage, Arbeiten auszuführen, die früher nur von maskulinen Geistern erledigt werden konnten.«
    Er nahm ihren Sarkasmus mit Humor. »Ja, das ist mir auch schon aufgefallen«, sagte er. »Es gibt halt immer wieder Wunder.«
    »Warum haben Sie Informationen über mich eingezogen?«
    »Aus zwei Gründen: Erstens, weil Sie die schönste Frau sind, die
    ich je gesehen habe.« Diesmal grinste er nicht.
    Es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher