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Mitten in der Stadt - Borrmann, M: Mitten in der Stadt

Mitten in der Stadt - Borrmann, M: Mitten in der Stadt

Titel: Mitten in der Stadt - Borrmann, M: Mitten in der Stadt
Autoren: Mechtild Borrmann
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Geschäft.
    Er sagt, unverhohlene Dummheit kann er nicht leiden. Das müsse sie verstehen.
    Er holt sie mit seinem Sportwagen von der Uni ab, und sie wächst unter den bewundernden Augen der Kommilitoninnen.
    Als sie das erste Mal mit ihm schläft, ist sie sich sicher, dass sie all die Zeit auf ihn gewartet hat.
    An einem strahlend warmen Herbsttag fahren sie zum Helenesee raus. Das Wasser liegt spiegelglatt, kein Wind rührt sich. Einzelne Ruderboote dümpeln auf dem See. Er sagt, er käme zukünftig nicht mehr so oft her, müsste jetzt häufiger nach Zwickau und Dresden. Sie spürt Kälte in sich aufsteigen, ihr Herz stolpert. In einem der Boote lacht eine Frau. Der helle Ton hüpft über das Wasser und verliert sich an allen Ufern gleichzeitig.
    Ihr Herz rast, pumpt zusammen mit dem Blut eine taube Zähigkeit in ihren Kopf. Seit einer Woche weiß sie, dass sie schwanger ist. Sie haben miteinander telefoniert, aber sie hatte nicht den Mut gefunden, es ihm zu sagen.
    Sie bleibt stehen. Er geht zwei, drei Schritte weiter, dreht sich um, kommt auf sie zu. „Ich liebe dich“, flüstert sie und „ich bekomme ein Kind.“
    Er schubst sie von sich. Dann sieht er zum ersten Mal auch sie so an. Nur der rechte Mundwinkel schiebt sich hoch und seine blauen Augen, so scheint es ihr, werden eine Nuance heller. Es dauert nur eine Sekunde, dann ist es vorbei. Sie schluckt und vergisst.
    Unter dem strahlend blauen Himmel rund um den See bäumt sich das Herbstlaub ein letztes Mal auf und glüht sich in Rot und Gelb zu Tode.
    In der nächsten Woche kommt er nicht. Ihre Mutter schimpft. Nennt sie eine dumme Gans. „So einen kriegst du nie wieder. So einen nicht!“
    Vierzehn Tage später steht er im Hotel hinter ihr. Er habe Zeit gebraucht, sagt er. Ob sie denn bereit wäre, mit ihm nach Emmerich zu ziehen?
    Sie taumelt vor Glück!

4
    Immer noch lag die halbfertige Tagesabrechnung auf dem Tisch neben der Theke. Immer noch lief der Fernseher lautlos auf dem Buffet. Er hatte Carmen nach Hause gefahren. Sie war ganz durcheinander gewesen, und er wollte nicht, dass sie sich in diesem Zustand hinters Lenkrad setzte.
    Roberta war mit ins Krankenhaus gefahren. Luca hatte erst nicht gewollt. Es sei doch alles in Ordnung! Aber der Arzt hatte darauf bestanden, ihn wenigstens über Nacht zu beobachten. Dann hatte Luca sich erbrochen und war einsichtig gewesen.
    Vittore nahm einen kräftigen Schluck von seinem Chianti. Die Fernsehbilder zeigten eine Autoverfolgungsjagd. Er griff zur Fernbedienung und schaltete den Apparat aus. Nein, das musste er sich jetzt wirklich nicht ansehen. So was in der Art hatte er gerade überstanden.
    Seit dreißig Jahren lebten sie in Deutschland. Als gelernter Koch war er hergekommen. Angefangen hatte er in der Kantine der Schuhfabrik Hoffmann und Roberta bei Uni Lever als Packerin. Kinder wollten sie haben, Kinder und irgendwann ein kleines eigenes Lokal. Nach zwei Fehlgeburten hatten die Ärzte von jeder weiteren Schwangerschaft dringend abgeraten. Roberta hatte sehr gelitten. Ihr Bruder Luigi war Vater von fünf Kindern, und sie hatten die Patenschaft für Luca, den Jüngsten, übernommen. Sie hatten ihn so oft es ging in Neapel besucht. 1990 eröffneten sie dann diese kleine Pizzeria und von da an verbrachte Luca alle Ferien bei ihnen in Deutschland. Für sie war Luca schon lange Sohn und Erbe.
    Das Telefon riss ihn aus seinen Gedanken. Das musste Roberta sein. Bestimmt wollte sie abgeholt werden.
    „Vittore, endlich! Wo warst du denn? Ich versuche schon zum vierten Mal dich zu erreichen.“
    „Ich habe Carmen …“ Erst jetzt nahm er wahr, dass Roberta weinte. „Was ist los?“ Er flüsterte.
    „Luca hat einen Schädelbruch.“ Sie schluchzte. „Sie haben ihn in ein künstliches Koma versetzt. Vittore, bitte, du musst sofort kommen!“
    Er warf das Telefon auf den Tresen, griff seine Autoschlüssel und lief hinaus zum Auto. Er war schon auf halbem Weg, als ihm einfiel, dass er die Tür nicht abgeschlossen hatte und die Tageseinnahmen immer noch offen auf dem Tisch lagen.
    Egal! Luca! Mein Gott, wenn Luca starb.
    Roberta wartete am Eingang. Er hielt direkt gegenüber auf einem der Parkplätze nur für Ärzte. Sie lief ihm entgegen, fiel ihm in die Arme. „Er darf nicht sterben, Vittore, bitte sag, dass er nicht stirbt!“ Er tätschelte ihr ungeschickt den Rücken.
    „Komm Roberta, komm. Lass mich erstmal mit dem Arzt reden, ja.“
    Lucas Gesicht war fast genauso weiß wie der Verband und die
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