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Mitten in Amerika

Mitten in Amerika

Titel: Mitten in Amerika
Autoren: Annie Proulx
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Erdöl- und Gasförderung, Viehzucht, landwirtschaftliche Anlagen. Die Gehöfte lagen von der Hauptstraße entfernt; hin und wieder kam Bob an einem Geisterhaus vorbei, verwittert, von Pappelstümpfen umstanden. In den verfallenen Windrädern und eingestürzten Scheunen sah er die zersplitterte Vergangenheit dieser Gegend verstreut wie Stifte auf dem Tisch eines Zeichners, der zum Essen gegangen ist. Die Ahnen der Gegend schwebten über den Relikten ihres vollendetenLebens. Den Präriehund bemerkte er nicht, der ihm aus dem Unkraut am Straßenrand in den Weg lief, und die Reifen überfuhren ihn wie eine leichte Unebenheit. Ein Bussardweibchen schwang sich in die Luft. Das war die Chance, auf die es gewartet hatte.
     
    Bob Dollar war in dem zweifachen Panhandle-Gebiet nördlich des Canadian River ein Fremder. In den fünf Jahren seit seinem Abschluß an der Horace Greely Junior University, einer Möchtegernhochschule in einem Klinkergebäude am Rand eines Zwiebelfelds neben der Interstate 70 im Osten Denvers, hatte er zwei Stellen gehabt. Er hatte sich von Horace Greely eine Erleuchtung erhofft, hatte gehofft, ein Interessensgebiet zu finden, das zu einer erfüllenden Laufbahn führte, doch das war nicht der Fall gewesen, und seine wohlvertrauten Zweifel blieben ihm erhalten. Er dachte sich, daß umfassendere Bildung Abhilfe schaffen könnte, und bewarb sich an der Universität, doch von dem bescheidenen Stipendium, das man ihm anbot (er besaß einen großen Wortschatz, war ein eifriger Leser und hatte hervorragende Noten), konnte er nicht sein Leben fristen.
    Er stellte fest, daß sein Diplom von Horace Greely ihm nicht ohne weiteres zu dem verhalf, was er als »gute Stelle« betrachtete, und nach einem Intermezzo in der Lebensmittelbranche nahm er eine schlechtbezahlte Arbeit als Lagerist in der PlatteRiver-Glühbirnenfabrik an, weil sonst Onkel Tams Laden der einzige Ausweg gewesen wäre.
    Nach dreißig Monaten Plackerei mit Kisten und Glasscherben und winzigen jährlichen Lohnerhöhungen hatte er ein unerfreuliches Erlebnis mit Mrs. Eudora Giddins, der Firmeninhaberin und Witwe des Firmengründers Millrace Giddins. Er wurde gefeuert. Und er war froh, denn er stellte sich unter »leben« etwas anderes vor, als zwischen Glühbirnen nervös auf sein Zeugnis zu warten. Er wollte hoch treffen, an einerweit entfernten Wand. Wenn die Zeit schon vergehen mußte, sollte sie nicht sinnlos vergehen. Er wollte ein Ziel und Anerkennung.
    Es folgten fünf Monate Stellensuche, bis man ihn als Scout für Global Pork Rind anheuerte, eine Firma mit Hauptsitz in Tokio und Chicago und einer Zweigstelle in Denver. Man teilte ihm das Panhandle-Gebiet von Texas und Oklahoma zu und schickte ihn auf seine erste Geschäftsreise.
    Am Tag vor seiner Abreise verzog Mr. Clukes Sekretärin Lucille die grellroten Lippen zu einer Art Lächeln und winkte Bob ins Büro. Hinter seinem Schreibtisch mit Glasplatte, deren Oberfläche wie ein kleiner See glänzte, erhob sich Mr. »Ribeye« Cluke, der Einsatzleiter, sagte: »Bob, da unten in den Panhandles haben wir nicht viele Freunde, abgesehen von ein paar etwas schlaueren Politikern, und deshalb müssen wir sehr umsichtig an die Sache herangehen. Ich erwarte, daß Sie so diskret wie möglich auftreten – wissen Sie, was das Wort ›Diskretion‹ bedeutet?« Seine wäßrigen Augen glitten über Bob. Er hob eine seiner großen Hände und glättete den borstigen Schnurrbart, der Bob an ein Stachelschwein denken ließ. Seine Schultern waren so gebeugt, daß es von hinten aussah, als säße sein Kopf auf einem Bogen.
    »Ja, Sir. Nicht auffallen.«
    Mr. Cluke ergriff eine Dose Rasiercreme, die auf dem Aktenschrank stand, und schüttelte sie. Aus einer Schreibtischschublade holte er ein Gebilde aus Riemen, Gurten und Scharnieren, das er sich über den Kopf zog, bis es teilweise auf seinen Schultern ruhte und eine große Scheibe auf seiner Brust auflag. Er zog die Scheibe zu einem Spiegel am Ende eines Teleskoparms aus. Er trug Rasiercreme auf seine Hängebakken auf, nahm ein Rasiermesser aus seinem Bleistiftbehälter, klappte es auf und begann sich zu rasieren, ohne den Schnurrbart anzutasten.
    »Das ist gut, Bob. Der letzte Bursche, von dem wir dachten,er könnte für uns das Terrain sondieren, war der Ansicht, es hätte etwas mit Geschlechtskrankheiten zu tun. Er war eine Niete. Aber Sie sind schlau, Bob Dollar, Sie sind Ihr Geld wert, jeden Cent, ha, ha.«
    »Ha, ha«, lachte Bob, der seit seinem
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