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Mitten in Amerika

Mitten in Amerika

Titel: Mitten in Amerika
Autoren: Annie Proulx
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aneinanderfügten, ein innerer Sack von Holzspänen. Ein Splitter war das frühere Leben bei seinen Eltern, ein anderer waren die Jahre mit Onkel Tam und Wayne »Bromo« Redpoll, danach nur mitOnkel Tam. Ein anderes Teilchen waren Orlando und Fever und Splatterfilme, dann die Glühbirnenzeit und Mrs. Giddins, die verlangte, daß er ihre Füße massierte, und böse wurde, als er würgend vor dem Gestank klammen Nylons zurückschrak. Bob hatte immer mitgearbeitet und geholfen, das stimmte schon, beim Geschirrspülen und Kochen und im Haushalt, aber hauptsächlich weil er sich wegen Onkel Tams schrecklicher Armut so schämte, die irgendwie weniger gravierend wirkte, wenn alles sauber und ordentlich aufgeräumt war. Er ordnete die Bücher in den Bücherregalen nach Größe und Farbe, bis Bromo Redpoll, der Geschäftspartner seines Onkels, sagte: »Sei doch nicht so eine alte Mamsell.«
    Onkel Tam war in Bob Dollar vernarrt, doch er konnte seine Zuneigung nur selten in substantielleren Gaben ausdrücken als besorgter Anteilnahme und verhältnismäßig ausgesuchten Schätzen aus dem Trödelladen, darunter die neuen braunen Oxford-Schuhe.
    »Bob! Sieht aus wie deine Größe, 43. Probier sie. In einer Tüte mit Sachen von einem feinen Pinkel aus Cherry Creek. Wahrscheinlich vom Dienstmädchen ausrangiert.«
    »Tolle Schuhe! Jetzt brauche ich nur noch einen Trenchcoat. « Die Schuhe sahen mit Bobs Jeans und T-Shirt tatsächlich etwas befremdlich aus.
    »In unseren Trenchcoats würdest du nicht mal tot gesehen werden wollen, aber ich habe einen sehr schönen sportlichen Ledermantel, Wildleder mit Schurwollfutter. So gut wie neu und fast deine Größe. Solche Mäntel sind aus der Mode gekommen, aber vielleicht kannst du ihn brauchen. Man kann nie wissen. Das Problem ist nur, daß er – nun ja, eine komische Farbe hat. Komm mit in den Laden und schau ihn dir an.«
    Der Mantel war an den Schultern etwas eng, und die Ärmel waren ein bißchen zu kurz, doch es ließ sich nicht leugnen, daß er trotz der verpfuschten gelblichen Färbung ein gutgearbeitetesKleidungsstück war. Bob lebte in ständiger Furcht, daß der Vorbesitzer den Mantel eines Tages auf der Straße wiedererkennen und eine vernichtende Bemerkung machen würde. In der Schule war ihm das zweimal widerfahren, einmal mit einem Pullover mit Argyle-Muster, einmal mit einer Wollmütze, auf deren Krempe die Buchstaben CharleS standen. Er hatte versucht, die Buchstaben mit Filzstift zu übermalen, doch sie blieben deutlich zu erkennen. Schließlich war eine große schwarze Baskenmütze mit Zigarettenlöchern aufgetaucht, die er jahrelang getragen hatte, wobei er sich einredete, ein echter Franzose habe sie in Denver liegenlassen.
     
    »Also, Bob«, sagte Mr. Cluke, der seine Wangen mit einer männlich-herben After-shave-Lotion betupfte, »mit braunen Oxford-Schuhen können Sie sich in Texas nicht blicken lassen. Glauben Sie mir. Ich war lange genug dort, um zu wissen, daß man es sich mit den Leuten da unten wegen solcher Schuhe verderben kann. Ölmillionäre im Anzug und wohlhabende Weizenbarone mit Diamantring haben nichts daran geändert, daß in Texas die Respektsperson schlechthin nach wie vor ein Rinderzüchter ist, und ein Rinderzüchter will nun mal aussehen wie ein Cowboy. Es wäre kein Fehler, wenn Sie sich die entsprechenden Arbeitshosen und die passenden langärmeligen Hemden besorgen würden. Aber vor allem müssen Sie ein Paar anständige Cowboystiefel kaufen und sie auch tragen. Cowboyhut und Fransenhemden sind nicht erforderlich, aber die Stiefel müssen sein.«
    »Ja, Sir«, sagte Bob, der das einsah.
    »Und hier, Bob, habe ich eine Liste der Dinge, auf die Sie Ihr Augenmerk in dieser Gegend richten sollten – natürlich ganz piano. Sehen Sie sich nach kleineren Rinderzüchtern und Bauernhöfen um, nicht nach den großen, nicht Ranches mit vierhundert Ölquellen. Sehen Sie sich nach Gegenden um, wo Grauköpfe vorherrschen. Ältere Leute. Solche Leute wollenihre Ruhe haben und sich nicht engagieren oder mit den Behörden Streit anfangen. Das sind die Leute, die wir suchen. Finden Sie heraus, wie die Leute heißen, die etwas zu sagen haben – Bankiers, Kirchenvorsteher –, und stellen Sie sich mit denen gut. Halten Sie Augen und Ohren offen nach Farmern, deren Kinder irgendwohin auf die Schule gegangen sind, denn diese Kinder kommen nur zurück, wenn man sie mit vorgehaltener Waffe dazu zwingt. Lesen Sie die Todesanzeigen frischverstorbener Landbesitzer,
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