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Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition)

Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition)

Titel: Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition)
Autoren: Margarita Kinstner
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aber das sagt er nicht, denn der Professor ist ein ehemaliger Kollege des Vaters, und als Sohn muss man stolz sein, für die Kollegen seines Vaters arbeiten zu dürfen.
    »Du trinkst doch noch einen Kaffee mit uns?«, fragt die Mutter, die Schürze wieder umgebunden, die Hände rot und aufgeweicht vom Abwaschwasser. Der Vater dreht das Radio an und klopft die Pfeife aus.
    »Die Oma bekommt jetzt Essen auf Rädern«, informiert die Mutter den Sohn im Flüsterton.
    »Pscht!«, macht der Vater und hebt den Zeigefinger an die Lippen.
    Im Radio spricht man von Koalitionsbruch und Neuwahlen, da wird die Mutter gleich ganz rot im Gesicht. Mit geschwollenen Backen sitzt sie da und hält die Luft an, bis das Wetter als Tiefdruckgebiet auf den dampfenden Kaffee herabkommt, denn bis zum Verkehrsfunk hat Schweigen zu herrschen.
    »Eine Frechheit ist das. Was das wieder kostet!«, regt sie sich auf, als der Vater das Radio wieder ausschaltet. Wie auf hoher See wogen ihre Brüste unter der Schürze, dass Jakob ganz schwindlig wird vom Hinschauen.
    »Wie wenn die den Staat nicht schon genug geschädigt haben, die sollen lieber arbeiten. Dauernd diese Streiterei. Das hat’s früher nicht gegeben!« Heftig schlägt sie mit dem Löffel gegen den Tassenrand.
    »Jetzt reg dich doch nicht so auf«, sagt der Vater, »ändern kann man’s ohnehin nicht.«
    Ich könnte ihnen jetzt erzählen, dass ich Sonja verlassen habe, denkt Jakob, früher oder später werden sie es sowieso herausfinden, dann werde ich mir wieder anhören müssen, dass ich endlich Verantwortung übernehmen soll. Mit vierzig, wenn dir dann plötzlich einfällt, dass du eine Familie gründen willst, wirst keine Frau mehr finden, wird die Mutter wieder raunzen, und der Vater wird schweigend die Pfeife ausklopfen und mit einem Blick dasitzen, der sagen wird: Eh klar, mit seinen Beziehungen ist es wie mit dem Studium.
    »Ich muss noch zur Uni«, sagt Jakob und springt auf, woraufhin der Stuhl ins Wanken gerät, Gleichtakt mit dem Mutterbusen.
    »Was, jetzt noch?«, klagt die Mutter. »Zahlt sich das denn überhaupt noch aus, es ist doch schon halb vier!«
    »So lass ihn doch«, sagt der Vater mit stolz geschwellter Brust, »wer weiterkommen will, muss hart arbeiten.«
    Also fährt die Mutter in die Höhe und aus der Schürze heraus, mit der Hand in die Haushaltskasse und mit dem Hunderter in des Sohnes Gesäßtasche. Dann füllt sie eine Tupperware-Schüssel mit dem restlichen Schweinsbraten und wickelt die Knödel in Alufolie.
    »Und lass dich mal wieder bei der Oma anschau’n!«
    Jakob hat jedoch Besseres vor, als sich bei der Oma anschau’n zu lassen, Jakob schaut lieber selbst an, und zwar Marie. Jetzt, da er sein Handy endlich wiederhat, ist er seinem Ziel einen erheblichen Schritt näher.

7  Sonja hingegen ist wieder allein. Deswegen ist sie nach Einbruch der Dunkelheit die Stufen hinuntergestiegen, dorthin, wo die Rücken zum Fließband werden. Verschwitze Oberkörper werden von rechts nach links befördert, in der Luft mischt sich Biergebräu mit Menschengebräu, alles Hopfen und Testosteron. So riecht die Gier der Unberührten, da hilft all das künstliche Zeug nicht, sei es nun von Chanel oder Hugo Boss. Wie ein Raubtier hinter Gittern streicht die Einsamkeit durch das Gewölbe des Innenstadtlokals und wirft ihren verzweifelten Blick in die Runde. Da wird Gewand abgelegt und Hand angelegt, in den Ecken und Schlupfwinkeln tastet man sich vor, ergründet Seelen und Körper, zeig mir deine Einsamkeit und ich zeig dir meine, und schon pulsiert und hämmert es, eine einzige Baustelle aus Leibern und Empfindungen. Da wird aufgerissen, vorgedrungen, Rohre werden neu verlegt, der Schweiß tropft in die Schächte und Gruben. Feierabend ist noch lange nicht, hier unten zeigt sich die Sonne erst nach Sperrstunde. Der Teufel streift durch sein Reich und schürt die Flammen mit Schnaps, erbarmungslos lässt er die Peitsche knallen, bis alle ganz wund sind und sich die Leiber krümmen. Da sitzt noch einer, der quält sich nicht genug, bei dem müssen wir nachhelfen, alles eine Frage der Befeuchtung, ein Glas noch und schon hat man ihn so weit. Die Peitsche knallt und drängt zur Arbeit, faul herumsitzen gibt es hier nicht. Hoppauf, nicht schlappmachen, und schon geht sie weiter, die Reise nach Jerusalem, da vorne, da ist noch eine frei, und wer übrig bleibt, der hat verloren.
    Der Teufel geht um in Paris, in Lourdes und in Nizza, und er geht um in Berlin und in Wien. Als
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