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Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)

Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)

Titel: Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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aufgenommen hat und die Mutter vielleicht erst infolge einer heftigen Konfrontation ein Dementi für angebracht hielt und die «harmlosere» Version ihrer Äußerung nachlieferte. Uns dient das Beispiel nur zur Veranschaulichung des allgemeinen Prinzips: Entsprechend den vier Seiten einer Äußerung verfügt der Empfänger über «vier Ohren», die in ihrer Ausrichtung in starkem Maße darüber mitentscheiden, wie das Gesagte nun «ankommt»:

    1. Mit dem Sach-Ohr versucht er den sachlichen Informationsgehalt zu verstehen (im gegebenen Beispiel ist dies einfach, es sei denn, er wüsste nicht, was mit «Flecken» gemeint ist).

    2. Mit dem Selbstkundgabe-Ohr ist er diagnostisch tätig: Was ist mit der Mutter los, was geht in ihr vor – welche Gefühle und Motive sind mit ihrer Äußerung verbunden?

    3. Mit dem Beziehungs-Ohr nimmt er auf, was die Mutter von ihm zu halten scheint, und fühlt sich entsprechend behandelt (gerügt, beschämt, beschuldigt). – Die Gefühle des Empfängers nähren sich meist zu einem guten Teil aus den erhaltenen Beziehungsbotschaften, das Selbstwertgefühl eines Menschen resultiert wesentlich aus ihnen.

    4. Mit dem Appell-Ohr hört er die Aufforderung heraus, die er an sich gerichtet spürt (zum Beispiel «Hör auf damit!»); dieses Ohr ist überhaupt empfänglich für den «Druck», der sich mit einer Äußerung verbinden und/oder unter den sich der Empfänger gesetzt fühlen kann.

    Halten wir das bisher Gesagte zunächst in einem Schaubild fest:

    Abb. 1:
    Kommunikationspsychologisches Modell einer Äußerung
    In der kommunikationspsychologischen Arbeit (Erwachsenenbildung, Klärungshilfe) lässt dieses Modell eine Scharfeinstellung sowohl auf den Sender als auch auf den Empfänger zu. Für den Letzteren lässt sich zeigen, wie bestimmte Spezialisierungen und Bevorzugungen eines der vier Ohren für den weiteren Gesprächsverlauf in subtiler Weise die Weichen stellen. Es wird später deutlich werden, wie bestimmte innere Verfassungen und Persönlichkeitsausrichtungen mit der Bevorzugung bestimmter «Ohren» verbunden sind und entsprechend den Kommunikationsstil prägen.
    Wie sieht das für die Seite des Senders aus? Der Volksmund sagt: «Man redet, wie einem der Schnabel gewachsen ist!» Wir können präziser sagen: «… wie einem die vier Schnäbel gewachsen sind!» Der Kommunikationsstil ergibt sich je nach Größe und Form dieser vier Schnäbel. Für jeden dieser Stile werden wir eine bestimmte typische «Grundbotschaft» herausarbeiten und in ihrer quadratischen Struktur beschreiben. Bei diesen Grundbotschaften handelt es sich um wiederkehrende Signalkombinationen, die den Empfänger erreichen (sollen) und den Kontakt in bestimmter Weise gestalten. Diese Signalkombinationen (zum Beispiel «Ich bin hilflos und völlig am Ende, du bist stark und musst mir helfen – sonst ist alles aus!») mögen so nie wortwörtlich ausgesprochen sein, und doch geben sie eine Art Grundmelodie ab, die in verschiedensten Variationen immer wieder hindurchklingt, durch Worte, Mimik, Gesten, Handlungen: durch die gesamte «Ausstrahlung». Und sie tun ihre Wirkung, indem sie beim Partner (normalerweise) ganz bestimmte Gefühle und Handlungsbereitschaften auslösen.

    Damit ist das für diesen gedanklichen Zusammenhang Wesentliche gesagt. Ich nehme aber die Gelegenheit, ausgehend von der Abb. 1 zwei Grundrichtungen der angewandten Kommunikationspsychologie in der Erwachsenenbildung idealtypisch zu unterscheiden und zu beschreiben. Die eine ist vorwiegend von der Humanistischen Psychologie inspiriert und legt es darauf an,

    1. dass dem Sender eine weitgehende Entsprechung von «Innerung» und «Äußerung» gelingt. Dies erfordert Übung in der Selbstwahrnehmung und ist am Zielwert der Authentizität orientiert.

    2. dass es dem Empfänger gelingt, die «hinter» der Äußerung liegende «Innerung» aufzuspüren und so zu einem tieferen Verständnis zu gelangen, als es auf der Sprechblasenebene möglich wäre (wo man gewöhnlich aneinander vorbeiredet). Dieses Aufspüren verbindet sich nicht mit einer detektivisch-diagnostischen Haltung, sondern mit einer der wohlwollenden Einfühlung. Dies erfordert Übung im vierohrigen Zuhören und ist am Zielwert der Empathie orientiert.

    Eine kommunikationspsychologische Arbeit unter diesem Vorzeichen ließe sich etwa mit der Mutter unseres Beispiels folgendermaßen denken – vorausgesetzt, sie hätte in einem Elternkurs den Vorfall eingebracht. Dabei wäre
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