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Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation

Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation

Titel: Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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bereitgestellt haben. Nun ist es so weit! Bitte vertiefen Sie sich noch einmal in den Text Ihrer Stimmen! Bekommen Sie eine Ahnung über ihren Ursprung? Dieser kann sehr unterschiedlich sein und nur im Zusammenhang mit der individuellen Lebensgeschichte ermittelt werden – wenn überhaupt. Vielleicht finden Sie Sätze, die wortwörtlich von Ihrer Mutter hätten kommen können – und andere vom Vater. Ob wir wollen oder nicht: Mutter und Vater leben in uns fort – und nicht nur sie, sondern jeder Mensch, jeder Beziehungspartner, der in unserem Leben eine Rolle spielt oder einmal gespielt hat, hinterlässt in uns einen Widerhall.
    Vielleicht finden Sie Stimmen, die Sie ziemlich eindeutig der christlichen Tradition Ihrer Familie zuordnen können («Geben ist seliger denn Nehmen!»), «Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in den Himmel kommt!»). Ich sage «ziemlich eindeutig», da unsere Wurzeln noch tiefer reichen und ein Teil unserer Regungen und ihrer Befehle ein Erbe aus der Vorzeit menschlicher Stammesentwicklung darstellt. Der Urimpuls, dem Notleidenden Beistand und Hilfe zu leisten, ist (sofern uns der Hilfsbedürftige nicht allzu «fremd» anmutet) viel älter als das Christentum und gehört zum Solidarprinzip der Urhorde.
    Vielleicht meldet sich in Ihnen aber auch ein «Darwinist» zu Wort: «Leben ist Kampf ums Dasein! Überleben kann und soll nur der Starke und Tüchtige! Das ist das Gesetz der Entwicklung – grausam, aber erfolgreich!» Wäre eine solche Stimme Nachhall einer Siegermentalität, die unseren Vorvorfahren das Überleben beschert hat, oder wäre sie eher Widerhall einer ideologischen Indoktrination, der es daran gelegen war, ungerechte Aufspaltungen der Gesellschaft in Arm und Reich zu legitimieren?
    Vielleicht finden Sie Stimmen, die sich quasi situationslogisch aus Ihrem gegenwärtigen Lebenskontext formulieren, zum Beispiel einen «Effektivitätstreiber» wie der Eilige in Abb. 10, der sagt: «Mach schnell, dass du heute alles geregelt kriegst! Was du heute kannst besorgen … – und meide die Ablenkungen von irgendwelchen Dingen, die am Wegesrand liegen! Nur der Schnelle kann heute die Nase vorn haben!»
    Solche als individuell empfundene Regungen sind häufig auch Verinnerlichungen eines herrschenden Zeitgeists, der durch alle Büros und Wohnzimmer der Gesellschaft weht: In einer Periode der permanenten Effektivitätssteigerung etabliert sich in jedem von uns ein innerer McKinsey , der ständig darüber wacht, ob Zeiteinsatz und Output in einem optimalen Verhältnis zueinander stehen.
    Manche Stimmen mögen auch Resultat einer politischen Auseinandersetzung und/oder Beeinflussung sein. Der Systemkritiker (S. 49) zum Beispiel ist ein typischer Nachhall aus der Studentenbewegung von 1968: So dachte und sprach man, wenn man sich in der linken Szene zu Hause fühlte. – Viele Parteien und Interessenverbände sind bemüht, in unserer inneren Teamkonferenz mit Sitz und Stimme vertreten zu sein. Noch mehr die Anbieter von Produkten, die bei aller Konkurrenzvielfalt auch unisono in die Welt senden: «Haste was, biste was!» und auf diese Weise ein Mitglied in uns nähren und mästen, das vielleicht schon vorher da war und aus der Zeit stammt, wo eine protestantische Ethik das Wohlgefallen Gottes im Ausmaß des Erreichten und Erworbenen widergespiegelt sehen wollte. Die Belohnungen sind dann hoch verdient: «Man gönnt sich ja sonst nichts!»

    Die menschliche Seele ist das vorläufige Endprodukt einer Entwicklung von zig Millionen Jahren. Die Anforderungen des Lebens und Überlebens haben (höchst widersprüchliche, s. Kapitel 3) Haltungen, Bereitschaften, Motive und «Lebensphilosophien» hervorgebracht, die wir noch heute in uns wahrnehmen können – die inneren Stimmen sind Echostimmen, sind zum Teil ein Widerhall der Weltgeschichte und unserer Kulturgeschichte. Manche wiederum sind junge Ausgeburten eines modernen und unseres persönlichen Lebenskontexts. Und manche Stimmen mögen historische Mischprodukte aus Uralt und Brandneu sein, haben sich aufgrund einer gemeinsamen Affinität verschmolzen. Wie auch immer: Am Konferenztisch unserer inneren Versammlung hat eine eigenartig pluralistische Runde Platz genommen: Da sitzt ein Alpha-Affe neben einem schüchternen Kleinkind, ein rationaler Atheist neben einer bangen Seele vor Gott, ein Tierschützer und Vegetarier neben einem alten Raubtier, ein alter Krieger neben einem Pazifisten, ein weiches, liebendes
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