Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mit verdeckten Karten

Mit verdeckten Karten

Titel: Mit verdeckten Karten
Autoren: Alexandra Marinina
Vom Netzwerk:
unter schlechten Bedingungen aufwachsen, Ehezwistigkeiten und alles das. Dank Ihnen weiß ich jetzt, daß man auf das Mädchen achtgeben muß, damit es nicht aus unserem Blickfeld und womöglich in schlechte Gesellschaft gerät. Aber es ist nicht unsere Sache, den Vater zu verurteilen, weil er nicht mit seiner Frau fertig wird, da haben Sie völlig recht.«
    »Er erhebt noch nicht einmal seine Stimme gegen Vera, offenbar liebt er sie trotzdem«, bemerkte die Kasakowa.
    »Es gibt wirklich nie Streit?« fragte Nastja. »Das kann ich nicht glauben. So etwas gibt es nicht. Vielleicht hören Sie es nicht.«
    »Ich höre alles!« sagte Maria Fjodorowna beleidigt. »Es ist doch ein Blockbau aus den siebziger Jahren, bei uns hört man jedes Flüstern hinter der Wand. Und wenn du glaubst, mein Töchterchen, daß ich eine taube alte Frau bin, dann hast du recht, denn Flüstern höre ich tatsächlich nicht mehr, aber wenn sie hinter der Wand etwas lauter sprechen, dann verstehe ich jedes Wort.«
    Sie schmatzte mit den Lippen, nahm ein paar Schlucke Tee und demonstrierte mit ihrer ganzen Haltung, daß es eine unverzeihliche Sünde war, einem Menschen in so ehrenwertem Alter nicht zu glauben. Wenn sie gesagt hatte, daß es zwischen Vera und ihrem Mann nie Streit gab, dann war das auch so. Aber plötzlich wandte sie den Blick verwirrt von ihrem Gast ab, sah zum Fenster und hustete.
    »Aber du hast recht, Töchterchen, einmal ist es vorgekommen. Da hat er sie angeschrien. Aber nur ein einziges Mal. Das ist sicher.«
    »Und was war los?«
    »Ich kann es nicht beschwören, aber ich glaube, er hat sie mit einem anderen Mann erwischt. Er war sehr wütend. Ich bekam sogar Angst und dachte, er würde sie schlagen.«
    »Ach was, Maria Fjodorowna, danach sieht es hier nicht aus«, stachelte Nastja die Alte erneut an. »Wenn es so ist, wie Sie sagen, und die Frau seit langer Zeit jeden Tag trinkt, dann kann man sie mindestens dreimal die Woche mit einem andern Mann erwischen. Glauben Sie mir, ich weiß es genau. Alle Alkoholikerinnen sind gleich. Es kann nicht sein, daß ihr Mann sie nur dieses eine Mal erwischt hat. Es kann nicht sein, daß er deswegen so wütend gewesen ist. Einer mehr oder einer weniger – was macht das schon aus? Wenn er ihren Suff erträgt, dann erträgt er auch die anderen Männer. Nein, Maria Fjodorowna, da muß etwas anderes gewesen sein. Sie haben sich wahrscheinlich getäuscht.«
    »Aber nein, ich habe mich nicht getäuscht«, widersprach die Alte hitzig. »Ich habe doch jedes Wort verstanden. Sie hat mit seinem Freund . . . Darum ist er so wütend geworden. Wenn du dich im besoffenen Zustand mit Abschaum von deinesgleichen einläßt, hat er geschrien, dann soll dich der Teufel holen, das ist deine Sache. Ich rühre dich schon lange nicht mehr an, und wenn du dir irgendeine Pest holst, dann ist mir das egal. Aber ihn hättest du nicht reinziehen dürfen in deinen Dreck, er ist ein schwacher Mensch, und das hast du ausgenutzt . . . Nun ja, und so weiter.«
    »Und was hat sie dazu gesagt?«
    »Ach, sie war wahrscheinlich schwer betrunken. Er hat sie gar nicht erwischt, sie hat ihm selbst alles erzählt.«
    »Wie das?«
    »Er hat irgendeine harmlose Bemerkung gemacht, und sie ist sofort hochgegangen. Du lebst nur für deine Arbeit, sagte sie, sonst interessiert dich überhaupt nichts. Wenn du wenigstens zu den Weibern gingst, dann könnte man dich für einen normalen Mann halten, aber du bist nicht Fisch nicht Fleisch, halb schwul, halb impotent. Schau dir deinen Dima an, der ist ein richtiger Mann, der sieht sofort, was eine Frau will, und er kann eine Frau auch befriedigen. Genau da hat er dann zu schreien angefangen. Das war das allererste Mal, Ehrenwort. Und Vera hört ihm zu und redet irgendein wirres Zeug. Er spricht von seinem Freund und sie von irgendeiner Schwester. Er sagt, daß sie Dima womöglich angesteckt hat, und sie faselt irgend etwas ganz anderes, daß es für ihn ja schon der Weltuntergang sei, wenn seine heißgeliebte Schwester mal niesen würde . . . Wahrscheinlich hat sie sich schon um den Verstand gesoffen, begreift überhaupt nichts mehr.«
    »Wahrscheinlich«, sagte Nastja, nur um irgend etwas zu sagen.
    Dmitrij Platonow hatte also mit Sergej Russanows Frau geschlafen, einer Alkoholikerin. Russanow war nicht im mindesten gekränkt vom Treuebruch seiner Frau und von dem Verhalten seines Freundes, ihn beschäftigte nur eines. Er befürchtete, daß Dmitrij sich bei seiner Frau etwas geholt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher