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Mit dem Wolf in uns leben. Das Beste aus zehn Jahren Wolf Magazin (German Edition)

Mit dem Wolf in uns leben. Das Beste aus zehn Jahren Wolf Magazin (German Edition)

Titel: Mit dem Wolf in uns leben. Das Beste aus zehn Jahren Wolf Magazin (German Edition)
Autoren: Elli H. Radinger
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mir hundert Dollar für jeden zahlen. Am liebsten hätte ich dem verdammten Kerl sein Gewehr um den Hals gewickelt!“
    Das Feuer loderte hell. Er schloss die Ofentür und blickte sich um. Sie stand noch immer regungslos da.
    „So, jetzt zieh erst einmal die nassen Sachen aus. Du siehst total durchfroren aus. Dabei sind es doch bloß zwei Meilen von der Stadt bis hier rauf.“
    Das Heulen erreichte seinen Höhepunkt, wurde leiser und hörte schließlich auf. Zurück blieb eine fast völlige Stille, nur das Feuer knisterte noch leise vor sich hin. Sie hatte bis jetzt geschwiegen, doch nun war es wohl an der Zeit, etwas zu sagen.
    „Vater, ich ...“
    „Du hast mir bestimmt viel zu erzählen, aber du musst dich unbedingt erst einmal aufwärmen, sonst wirst du noch krank. Ich mache in der Zwischenzeit was zu essen. Meine Güte, deine Sachen sehen vielleicht aus … Übrigens, warum legst du nicht endlich diesen komischen Schraubenschlüssel beiseite? Wozu hast du den überhaupt mitgenommen?“
    Sie sah den Radschlüssel an, den sie immer noch umklammert hielt, und wusste es irgendwie selbst nicht mehr. In ihrem Kopf rasten die Gedanken wild durcheinander. Es war wohl ein bisschen viel auf einmal gewesen. Doch da war noch etwas anderes: Sie kam sich so dumm vor, so unendlich dumm …
    Sie musste an den Wolf denken, der sich blutend und torkelnd zurückgezogen hatte. Er hatte sie nicht einmal angeknurrt.
    Und an den Jäger, von dem ihr Vater sprach. Das, was man dem Wolf nachsagte – traf das in vielen Fällen nicht eher auf den Menschen zu?
    Sie begann plötzlich zu verstehen, warum sie sich so dumm vorkam. Sie war einem Zerrbild zum Opfer gefallen, ohne dass sie es bemerkt hatte. Und der Wolf war nun zu ihrem Opfer geworden.
    Es bestürzte sie und machte sie wütend – furchtbar wütend. Wie hatte es nur so weit kommen können? Wie viele Wölfe waren bereits zu Opfern geworden, nur weil andere ähnlich reagiert hatten?
    Dagegen musste etwas getan werden. Sie würde ihnen erzählen, wie Wölfe wirklich waren – den Politikern, Drehbuchautoren, Schriftstellern, Märchenerzählern, Nachbarn, Freunden, Verwandten und allen, die es hören wollten. Doch wollten sie es überhaupt hören? Würden sie ihr überhaupt glauben?
    Ihre Hand öffnete sich und ließ den Radschlüssel krachend zu Boden fallen.
    Sie würde ihr Bestes geben. Das war sie diesem Wolf einfach schuldig. Und sicherlich gab es noch andere, die das Gleiche versuchten. Einen hatte sie schon gefunden …
    „Vater?“
    Er sah auf und blickte in ihre Augen. Der Tonfall ihrer Stimme sagte ihm, dass es um etwas Ernstes gehen musste, etwas, das ihr sehr am Herzen lag.
    „Ja?“
    „Die Wölfe … Was weißt du über sie?“
(Frank Simon; Wolf Magazin 3/98)
     

Der Wolfstraum
    Er rannte, rutschte, stolperte durch den finsteren Wald. Nebel stand zwischen den Bäumen. Überall leuchteten Tieraugen aus dem Dunkel, beobachteten ihn, belauerten ihn. Sein Atem ging stoßweise. Gehetzt sah er sich um. Verfolgten sie ihn? Da – eine Bewegung direkt vor ihm. Abrupt blieb er stehen. Da stand der Wolf. Er schien ihm riesig. Ein großer, dunkler Schatten. Plötzlich waren der Nebel und die glühenden Augen verschwunden. Er konnte den Wolf jetzt genau sehen, jedes einzelne Haar an ihm. Er riss das Gewehr hoch und zögerte einen winzigen Augenblick. Der Wolf stand nur da und sah ihn an. Ihre Augen trafen sich, und einen Moment war ihm, als wären sie eins …
    Thomas Reed schreckte auf. Sein Herz raste. Verwirrt sah er sich um. Er atmete erleichtert auf. Er war zu Hause in seinem Bett. Er wendete leicht seinen Kopf und sah, dass seine Frau neben ihm lag, in tiefem Schlaf. Langsam ließ er sich in sein Kissen zurücksinken. Immer wieder dieser Traum. Irgendetwas jagte ihn durch den Wald und immer traf er diesen Wolf. Immer genau denselben Wolf, und immer sahen sie sich an, er, Thomas, mit dem Gewehr im Anschlag, und der große graue Wolf. Immer wachte er genau in dem Augenblick auf, in dem er seinen Zeigefinger krümmte, um zu schießen. Etwas beunruhigte ihn in diesem Traum, löste tiefes Unbehagen aus, ja ängstigte ihn fast, aber er konnte es nicht benennen. Diese Augen, wie sie ihn ansahen, als wollte ihm der Wolf etwas sagen, aber er verstand ihn nicht.
    Seufzend drehte er sich auf die Seite. Er wusste, an Schlaf war nicht mehr zu denken. Dieser Traum ließ ihn nicht mehr los. Er würde am Morgen wieder völlig gerädert und übernächtigt aufstehen und den ganzen Tag
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