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Mit deinen Augen

Mit deinen Augen

Titel: Mit deinen Augen
Autoren: Kaui Hart Hemmings
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nur.
    »Mich interessiert nur, dass meine Tochter schluchzend aus der Schule kommt. Ja, es stimmt, sie ist eine Frühentwicklerin und extrem sensibel, was die körperlichen Veränderungen angeht, und sie kauft ihre Sachen nicht bei Neiman’s Kids oder wo auch immer Sie mit Scottie einkaufen gehen.«
    »Ja, natürlich«, murmle ich. »Es tut mir leid. Es tut mir sogar sehr leid.« Ich habe noch keine Blogs über Gemeinheiten gelesen, und Esther hat mich auf diese Situation auch nicht vorbereitet. Scottie hat mich reingelegt. Wer bist du eigentlich ?, möchte ich sie fragen.
    »Scottie ist diejenige, der es leidtun sollte. Ich verlange, dass sie hierherkommt und sich entschuldigt, und ich möchte, dass sie streng ermahnt wird.«
    »Ich rede mit ihr«, verspreche ich. »Ich werde der Sache auf den Grund gehen. Bedauerlicherweise sind wir diese Woche sehr beschäftigt, wegen der, äh, Hintergründe. Aber es tut mir ehrlich leid, und ich werde sofort mit Scottie sprechen.«
    »Das ist wenigstens schon mal ein erster Schritt«, sagt Mrs. Higgings. »Aber dann möchte ich auch noch, dass sie sich bei Lani entschuldigt. Und dass sie ihr nie wieder schreibt.«
    »Nette Sachen kann sie schon schreiben!«, höre ich eine Stimme im Hintergrund rufen.
    »Also - ich verlange, dass sie heute noch hier vorbeikommt, oder ich werde mich in der Angelegenheit an den Direktor wenden. Sie können sich nicht so einfach freikaufen.«
    »Entschuldigen Sie bitte? Wovon reden Sie?«
    »Es ist Ihre Entscheidung, Mr. King. Soll ich Lani sagen, dass Sie noch heute hier vorbeikommen, oder wollen Sie die Sache mit der Schulleitung besprechen?«
    Ich lasse mir ihre Adresse geben. Ich mache Zusagen. Das Leben geht weiter.

5
    Auf dem Weg zu Familie Higgins, die nicht weit von uns wohnt, in Kailua, bereite ich Scottie auf die Situation vor. »Du musst sagen, dass es dir leidtut, und du musst es ehrlich meinen. Ich muss dringend arbeiten, also mach bitte keine Faxen.«
    Sie sagt nichts. Ich habe ihr das Handy weggenommen, und ihre Hände liegen offen im Schoß, die Finger umschließen die Luft.
    »Warum hast du Lani diese Sachen geschrieben? Warum bist du so gemein zu ihr? Wie kannst du nur diese ganzen Ausdrücke schreiben?«
    »Keine Ahnung«, sagt sie. Sie klingt verärgert.
    »Du hast sie zum Weinen gebracht.Wieso willst du, dass sie traurig ist?«
    »Ich hab doch nicht gewusst, dass sie so empfindlich ist. Manchmal schreibt sie als Antwort lol oder so was, und deshalb bin ich gar nicht auf die Idee gekommen, sie könnte zickig sein.«
    »Was heißt ›lol‹?«
    »› Laughing out loud ‹. Das schreibt man, wenn man etwas echt witzig findet.«
    »Hast du die Sachen allein geschrieben?«
    Sie antwortet nicht. Wir fahren an den Antiquitätenläden vorbei und an dem Autohändler, bei dem lauter riesige Laster stehen.
    Als wir in die Straße mit den neueren Geschäften einbiegen, schauen wir zu den Jugendlichen hinüber, die unter dem Banyanbaum Skateboard fahren.Wir schauen immer zu ihnen; wahrscheinlich tun das alle Leute, wenn sie in die Kailua Road einbiegen.
    »Du sitzt einfach nur da und schreibst gemeine Sachen, und dann machst du weiter wie immer?«
    »Nein.«
    »Was dann?«
    »Ich schreibe sie mit Reina. Reina muss lachen, und dann zeigt sie das, was ich geschrieben habe, noch Rachel und Brooke und den andern.«
    »Ich hab’s doch gewusst, dass sie etwas damit zu tun hat. Ich hab’s gewusst.«
    Reina Burke. Zwölf Jahre alt. Ich sehe sie im Club, in einem Tanga-Bikini und mit geschminkten Lippen; sie hat diese abgeklärte Aura, die keine Zwölfjährige haben sollte. Sie erinnert mich an Alexandra - hübsch und frühreif, bereit, ihre Kindheit abzulegen wie eine schlechte Angewohnheit.
    »Von jetzt an triffst du dich nicht mehr mit ihr«, sage ich.
    »Aber Dad, ich bin mit ihr verabredet! Ich hab schon für Donnerstag etwas mit ihr und ihrer Mutter ausgemacht!«
    »Du bist mit deiner eigenen Mutter verabredet.«
    »Mom kann ja nicht mal die Augen aufmachen!«, protestiert sie. »Und sie macht sie auch nicht mehr auf.«
    »Aber natürlich macht sie die Augen wieder auf. Bist du übergeschnappt?«
    Sie starrt stumm geradeaus.
    »Du musst mit deiner eigenen Mutter zusammen sein, nicht mit irgendeiner anderen Mutter.«
    »Kann Reina dann wenigstens ins Krankenhaus kommen? Wenn ich nicht in die Schule gehe, sehe ich meine Freundinnen sonst nie.«
    Ich bin erstaunt, dass sie eine Freundin ins Krankenhaus mitnehmen möchte, aber ich könnte mir
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