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Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Titel: Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman
Autoren: Matt Beynon Rees
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Sein Vater hatte gesehen, wie der Tod seine Seele aus dem Pestzimmer gerufen hatte – nun kam er auch zu ihm.
    Er schlurfte durch den Raum wie einer, der zu früh aufgewacht war. Der Keller war wie ein Kerker. Er musste an die frische Luft. Er ging zu den Palasttoren hinauf und stützte sich schwer atmend auf die Balustrade des Portals.
    Vom Königspalast aus der Altstadt kam eine Gruppe Frauen singend und tanzend über den Hügel. «Das Blut des heiligen Gennaro hat sich verflüssigt!», riefen sie. «Gott segne den Heiligen und sein Wunder.»
    Das ist ein Zeichen
, dachte er.
Du weißt, was du zu tun hast
.
    Einer der Torwächter der Stiglianos kam aus dem Torhaus und sah die Frauen vorbeigehen. «Das Blut des Heiligen fließt. Fürs kommende Jahr sind wir alle erlöst», sagte er.
    Die Abendbrise wehte Salzgeruch von der Bucht herüber. Caravaggio sah zu, wie die Frauen am Strand der aufkommenden Flut entgegentanzten. «Wir wollen für das Blut dankbar sein», sagte er. Er ging wieder in sein Atelier, um eine Nachricht zu schreiben.
    ∗
    Am Morgen ging Caravaggio hinunter ans Ufer. Er schlenderte mit Absicht von der Stadt weg, bis er den schmalen Strand von Chiaia erreichte. Die Fischer standen neben ihren kleinen Booten und schwatzten angeregt miteinander, wie es unter Männern, die ihre Nächte damit verbringen, allein durch die Dunkelheit der Bucht zu kreuzen, so üblich ist. Sie feilschten mit den Frauen um den Preis ihres Fangs und hoben händeweisegraue Langusten und korallenrote Tintenfische aus ihren Kübeln.
    Ein Mann hockte an einem der aufs Land gezogenen Schwertboote. Sein Schweigen unterschied ihn von den lachenden Fischern. Als Caravaggio näher kam, stand er auf und warf seinen schwarzen Umhang zurück. Die Fischer wichen zurück, als sie auf seiner Brust das Kreuz der Ordensritter des heiligen Johannes von Malta erkannten.
    Auf den Felsen oberhalb des Strandes berührte Caravaggio die Haut unter seinem gesunden Augenlid und zog es nach unten – die neapolitanische Geste, die
Hast du verstanden?
fragt.
    Roero leckte sich die Lippen und fletschte die Zähne. Als wollte er beweisen, dass auch er die Gestensprache der Stadt gelernt hatte, hob er die Hand, schob die Fingerspitzen zusammen und machte eine knappe, nachdrückliche Handbewegung.
Beeil dich
.
    ∗
    In seinem Atelier unter dem Palazzo Stigliano vollendete Caravaggio die Gemälde für Kardinal Scipione schneller, als er selbst es für möglich gehalten hätte. Er hatte drei Leinwände nebeneinander aufgestellt, füllte auf der einen noch die Figuren aus, während die Farbe auf den anderen bereits trocknete, und wandte sich, wenn die Ölfarben trocken genug waren, der nächsten zu, um weitere Einzelheiten einzufügen.
    Der Inquisitor suchte ihn auf, als er gerade den Körper eines Jugendlichen für die letzte Leinwand skizzierte. Das Modell, ein Küchenjunge aus dem Palast, hielt eine Tasche mit Äpfeln am ausgestreckten Arm und sah sie mit trauervollem Blick an. «Was soll das sein? Ein trauriges Stillleben mit Obst?», sagte della Corbara.
    «Es ist gleichgültig, was er hält.» Caravaggio blieb hinter seinemVorhang und justierte den Konkavspiegel, den er benutzte, um den Oberkörper des Jungen auf die Leinwand zu werfen. «Ich brauche nur das Gewicht der Früchte, damit ich das Muskelspiel seines Arms darstellen kann.»
    Della Corbara verzog die Lippen und beobachtete den blassen Lichtschein, der von der hohen Laterne auf den schmalen Armmuskel des Jungen fiel. «Ich bin froh, dass Ihr nun meine Meinung teilt.»
    Caravaggio zog den Vorhang auf und hob das Kinn.
    «Kardinal Scipione wird mit mir höchst zufrieden sein. Del Monte ebenso.»
    Caravaggio machte eine tiefe, anmutige Verbeugung. Als er sich wieder aufrichtete, war seine Miene gefasst und entschlossen. Der Inquisitor war entnervt. «Arbeitet weiter, Maestro», murmelte er. «Wir segeln in zwei Tagen nordwärts nach Rom. Ich treffe Euch dann am Schiff.»
    «Ich kann es kaum erwarten.»
    Der anmaßende Ton des Künstlers machte della Corbara stutzig. Er musterte ihn neugierig und dann voller Ungeduld.
    ∗
    Das junge Modell hielt das Schwert leicht angewinkelt vor seinen Beinen, während Caravaggio an dem Lichtstrahl in seiner Mitte und an der Schneide arbeitete. Costanza sah am Fuß der Treppe zu. Caravaggio hatte nicht das Gesicht dieses Jungen gemalt. Das Gesicht, das sie auf der Leinwand sah, gehörte einem anderen. Die geschürzten Lippen und mitleidig blickenden Augen konnte
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