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Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Titel: Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman
Autoren: Matt Beynon Rees
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Lebens und die plötzliche Erleuchtung, die diejenigen überkommt, die einen Pakt mit dem Tod schließen. Der unter einer Krankheit Leidende oder der sich freiwillig Opfernde. Der Mörder und sein Opfer.
    Betrachte die Dunkelheit
, dachte er.
Was entsteht aus den Schatten? Was kommt zum Vorschein, wenn man verborgen geglaubte Dinge anstarrt? Sieh weiter hin, und eines Tages erkennst du ihre Form. Dein Blick erzeugt ein Licht, das das Geheimnis durchdringt. Er streichelte den Kopf des Toten.
    Das ist doch wahr, Vater?

I
ROM
Im Garten des Bösen

1605

1
Berufung des heiligen Matthäus

    «Er ist der berühmteste Künstler in Rom.» Am Ende des Kirchenschiffes bekreuzigte sich Scipione Borghese. Langsam und wollüstig, als striche er über die Brust einer Geliebten, glitt seine Hand über seine scharlachroten Gewänder. «Glaubt Ihr, ihn für Euch selbst behalten zu können?»
    Jetzt, da dein Onkel als Papst Paul gesalbt wird, nicht mehr
, dachte Kardinal del Monte. Die Ernennung des neuen Pontifex machte Scipione zum mächtigsten Kirchenfürsten in Rom.
Er wird meinen Schützling dazu zwingen, seine Briefe mit «Euer unterwürfiger Diener» zu unterzeichnen
. «Wenn Ihr es für möglich halten solltet, Caravaggio zu lenken, mein gnädiger Herr, wäre ich gern bereit, ihn Euch vorzustellen, damit Ihr es versuchen mögt. Er gehorcht einer höheren Macht als Euch oder mir.» Er deutete auf das goldene Kruzifix, das im Licht der hohen Fenster auf dem Altar schimmerte. «Und ich meine nicht den Heiligen Vater, möge unser Herrgott ihn segnen.»
    Scipione stieß das Handgelenk nach unten und spreizte dabei den Zeige- und den kleinen Finger wie Teufelshörner ab. Als er sah, dass eine derart weltliche Geste von der manikürten Hand des neuen Arbiters für Kunst und Macht in der päpstlichen Stadt ausging, verzog del Monte sein Gesicht. «Soviel ich über sein Verhalten höre, bezieht Caravaggio sein Können nicht von oben, sondern von unten», sagte Scipione. «Künstler sind allesamt raue Gesellen. Ich weiß, wie ich sie mir gefügig machen kann.»
    Mit zweihunderttausend Dukaten jährlich, die dir vom Thron des heiligen Petrus geschenkt werden, findest du mit Sicherheit eine Möglichkeit.
Del Monte führte Scipione ins linke Seitenschiff. «Hier sind sie.»
    Scipione rückte das rote Barett auf seinem Hinterkopf zurecht, kratzte sich am Kinn und zupfte sich nachdenklich den Spitzbart. Seine Zunge strich über die Oberlippe. Er war jung und feingliedrig, doch irgendetwas in seinem Gesicht ließ ahnen, wie er aussehen würde, wenn er dereinst fett geworden sein würde.
Und er wird gewiss fett werden
, dachte del Monte.
Der Körper kann ja kaum die Habgier dieses Mannes ertragen. Man gebe ihm ein paar Jahre absoluter Macht und einen unbegrenzten Etat, und dann wird sein Magen anschwellen und sein Kinn sich vervielfachen.
    «Der ganze Stolz der Kirche San Luigi dei Francesi», sagte Scipione.
    Die beiden Kardinäle gingen an der grünen Marmorbalustrade vorbei in die Contarelli-Kapelle. «Der
Heilige Matthäus
mit dem Engel und das
Martyrium des heiligen Matthäus
, sie sind natürlich wundervoll.»
    «Ja, aber es ist dies hier. Dies ist es.» Scipione wandte sich der enormen Leinwand an der Wand links vom Altar zu.
    «
Berufung des heiligen Matthäus
.» Del Monte öffnete beide Hände. «Selbst ich, der ich sein Talent vor allen anderen Gönnern entdeckt habe, muss zugeben, niemals damit gerechnet zu haben, dass er sich zu einem Genius von derartiger Virtuosität entwickeln würde.»
    «Es ist wegweisend. Überall diese Dunkelheit.» Scipione spreizte die Beine und legte sich die Hände auf den Bauch. Er zuckte mit dem Unterkiefer und blies die Wangen auf, als ob er die Leinwand vor sich verschlingen wollte.
    Die Berufung
zeigte fünf Männer an einem Tisch. Drei junge Burschen trugen prunkvolle Wamse und mit Kokarden geschmückte Hüte. Die beiden anderen waren grauhaarig. Ein schlichter Raum mit graubraunen Wänden. Ein Fenster, schmutzigund lichtlos. Aber von rechts, wo eine helle Sonne die Kapelle beschien, brach ein Strahl aus warmen Gelb- und Brauntönen, als fiele er durch ein hohes Fenster in einen Keller. Direkt unter dem weichen Schein, von Schatten verdeckt, die Hand ausgestreckt, um seinen zukünftigen Jünger zu berufen, Jesus, mit bärtigem Gesicht.
    «Was für ein brillanter Zug», sagte Scipione, «dass unser Herr sich nicht in seiner üblichen Position im strahlenden Mittelpunkt der Komposition
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