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Mit anderen Augen (German Edition)

Mit anderen Augen (German Edition)

Titel: Mit anderen Augen (German Edition)
Autoren: Kerstin Kroll
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mich durchschaut hat. Es von ihm zu hören, lässt mich dennoch zusammenzucken.
    „So schlimm?“, fragt Jannik leise, dem das nicht entgangen ist.
    Schlimm? Wie definiert man dieses Wort? Ich weiß heute, dass das, was ich damals getan habe, falsch war und es war auch furchtbar, aber schlimm hätte ich es nicht genannt. Zumindest früher nicht. Ich war eben ein dummer Junge, der es nicht besser wusste. Ich habe die Kerle ertragen, mit denen ich im Bett war, weil ich das Geld brauchte.
    Früher habe ich nicht darüber nachgedacht, was es für mich heißen würde, mich selbst zu verkaufen. Was es aus mir machen würde.
    Heute weiß ich, dass ich seelisch nicht ganz dicht bin. Dass die vier Jahre auf dem Strich Spuren hinterlassen haben. Gekümmert habe ich mich darum nie. Wozu auch? Für meinen Job als Killer hatte ich genug Verstand und vor allem Talent, mehr war nicht wichtig.
    Das hat sich geändert.
    Alles hat sich geändert, allein Janniks wegen.
    „Was weißt du über den Straßenstrich?“, will ich von Jannik wissen, nachdem mir klar geworden ist, dass ich es ihm erzählen will, denn er wird zuhören, ohne zu verurteilen.
    „Nur das, was man im Fernsehen sieht oder in Zeitungen liest. Ich glaube allerdings, dass das nur die Spitze des Eisbergs ist.“
    Stimmt, denke ich, sage aber nichts weiter dazu. „Ohne Beschützer bist du auf der Straße aufgeschmissen. Besonders als Teenager. Ich war vierzehn und ich hatte keine Ahnung davon. Also suchte ich mir einen Callboy, um die Grundlagen zu lernen. Ich bezahlte ihn dafür. Anfangs mit Geld, dann mit meinem Körper. Ich blieb eine Woche bei ihm und dachte, es würde reichen. Ich war so naiv.“
    „Was ist passiert?“
    „Ich habe die erste Nacht auf der Straße nur überlebt, weil einer der Zuhälter in der Gegend meine Schreie hörte. Er hat mich gerettet, den Typen vertrieben, der mich beinahe erwürgt hätte, und mir einen Arzt besorgt. Die nächsten Jahre hat er auf mich aufgepasst. Mit achtzehn hatte ich genug Geld, um zu tun, weshalb ich überhaupt auf den Strich gegangen war. Als mein Zuhälter mich nicht weglassen wollte, gerieten wir in Streit.“
    Das ist die Zusammenfassung meiner Zeit auf dem Strich. Vielleicht erzähle ich Jannik irgendwann den Rest dieser vertrackten Geschichte, denn vier Jahre auf der Straße sind eine gefühlte Ewigkeit. Für dieses Gespräch reicht eine Kurzfassung aber vollkommen aus. Er hat genug Fantasie, um sich einen Teil der Story selbst zusammenzureimen.
    „Hast du ihn getötet?“, fragt Jannik, als ich nichts mehr sage, obwohl er die Antwort vermutlich schon ahnt.
    „Ja.“
    „Was geschah danach?“
    „Ich bin gegangen, habe meinen Vater ermorden lassen und mich bei der Armee eingeschrieben, um das richtige Töten zu lernen.“
    Jannik hebt den Kopf und sieht mich an. Es ist zu dunkel, sodass ich sein Gesicht nicht genau erkennen kann, aber was ich sehe reicht aus, um zu wissen, dass er mich auch dafür nicht verurteilt. Wie ihm das möglich ist, weiß ich nicht, aber sein Lächeln ist echt und es gilt allein mir. Er hat Mitgefühl mit einem Killer, der ein Leben geführt hat, das gegenüber seinem eigenen unterschiedlicher nicht sein könnte.
    „Sagst du mir den Grund?“
    Ich weiß, was Jannik wissen will. „Er hat meine Mutter umgebracht. Sie haben um das Haushaltsgeld gestritten. Das hat er später den Cops erzählt und dafür bei der Verhandlung lebenslänglich gekriegt. Als er meine Mutter tötete, war ich vierzehn.“
    „Deswegen bist auf den Strich gegangen“, zieht Jannik die richtigen Schlüsse und ich nicke schweigend, worauf er sich wieder hinlegt. „Der Zuhälter... Hat er dir geholfen, deinen Vater töten zu lassen?“
    „Er hatte die Verbindungen, ich das Geld. Ein gutes Geschäft.“
    Jannik atmet hörbar ein, verkneift sich aber jedes weitere Wort dazu. „Hast du nie überlegt, etwas anderes zu machen als diesen Job?“, will er stattdessen wissen.
    „Nein. Jedenfalls nicht, bis ich dich kennengelernt habe.“
    „Warum ich?“
    Diese Frage kann ich nicht beantworten, denn ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, was er genau an sich hat. Ich weiß nur, ich bin froh, dass er da ist. „Es gab für mich lange Zeit nur diesen Weg. Ich weiß nicht, was dich so besonders macht, aber ich weiß, dass du der Grund dafür bist, dass sich alles geändert hat.“
    „Zack? Wenn wir diesen Irrsinn überleben, was wird dann aus uns?“
    Noch eine Frage, die ich ihm nicht beantworten kann. Ich weiß nur,
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