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Mission Munroe. Die Sekte

Mission Munroe. Die Sekte

Titel: Mission Munroe. Die Sekte
Autoren: Taylor Stevens
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unterwegs in die erste Klasse, da setzte sich der Zug langsam und ruckend in Bewegung.
    Logan blieb stehen und hielt inne. Wie so oft in längst vergangenen Zeiten sah er den Bahnsteig in der Ferne kleiner und kleiner werden. Schienen und Mauern und Häuser verschwammen vor seinen Augen, bis er Munroe schließlich in das leere Sechserabteil folgte.
    Sie saß am Fenster, hatte den Kopf in den Nacken gelegt und die Augen geschlossen. Er stellte seine Reisetasche auf den Platz, der für ihn reserviert war, und setzte sich ihr gegenüber. Sie machte die Augen einen Spalt weit auf und streckte die Beine aus, sodass ihre Füße zwischen seinen Knien lagen.
    Logan sagte: »Ich hätte doch auch nach Tanger fliegen können. Dann hättest du dir die lange Fahrt gespart.«
    Sie nickte. »Ich wollte gerne ein bisschen Zeit mit dir alleine haben.«
    Er stockte und ließ das »Warum?« unausgesprochen in der Luft hängen.
    Sie hatte ihm den Ball zugespielt. Sie hatte ihm eine Gelegenheit eröffnet, seine Last loszuwerden, ihr das zu sagen, was er ihr nur persönlich sagen konnte und weswegen er einmal quer über den Atlantik geflogen war. Aber er konnte nicht. Nicht jetzt. Nicht in ihrem Zustand. Er brauchte Zeit zum Nachdenken.
    Munroe stutzte. Es war nur ein leises Zögern, aber es reichte ihm, um zu verstehen. Sie wusste jetzt, dass er die Eröffnung noch ein wenig in die Länge ziehen wollte, und war bereit, sich darauf einzulassen.
    »Noah ist auch da«, sagte sie. »Er ist nervös. Und eifersüchtig.« Sie sah ihn an. »Ich wollte nicht, dass du dich gleich zu Anfang damit auseinandersetzen musst.«
    »Weiß er denn nicht, dass ich schwul bin?«
    Sie lächelte spöttisch und rümpfte die Nase. »Doch, schon, aber er weiß auch, dass ich dich liebe.«
    »Und dadurch bin ich eine Bedrohung?«
    Sie nickte.
    Er seufzte.
    Wenn seine Ankunft als Bedrohung empfunden wurde,
dann war hier irgendetwas faul. Im Idealfall hätte Logan sie jetzt nach konkreten Einzelheiten gefragt, und sie hätte ihm alles erzählt. Das Gespräch hätte sich zwanglos und ganz automatisch entwickelt, wie üblich bei langjährigen, engen Vertrauten. Aber das hier war nicht der Idealfall, ganz im Gegenteil.
    Also begnügten sie sich wieder mit Smalltalk, der langsam in Schweigen überging. Ihre beruhigende Gegenwart, der gleichmäßige Rhythmus der Räder und drei Tage mit viel zu wenig Schlaf sorgten dafür, dass Logan in den Schlaf des Vergessens sank.
    Erst ein leises, metallisches Schaben holte ihn Stück für Stück wieder ins Bewusstsein. Dem Sonnenstand nach zu urteilen, mussten etliche Stunden vergangen sein.
    Benommen und desorientiert wandte er sich Munroe zu. Sie lächelte schon wieder dieses seltsame, verräterische Lächeln. Sie spielte mit einem Messer, ließ es durch die Luft rotieren, fing es wieder auf und ließ ihn dabei keine Sekunde aus den Augen, während die Klinge über ihre Finger strich.
    Logan fluchte innerlich und zwang sich dazu, die Waffe nicht anzustarren. »Ist schon eine Weile her, dass du die mit dir rumgetragen hast.«
    Sie nickte, ohne den Blick von ihm zu nehmen, immer noch grinsend, während der Stahl unentwegt durch ihre Finger sauste.
    Logan ließ den Kopf in den Nacken sinken und schloss die Augen – anders kam er nicht gegen den Schmerz an, den ihr Zustand in ihm auslöste. Die Messer und alles, was sie symbolisierten, sprachen Bände darüber, wie tief sie gesunken war.
     
    Es war bereits dunkel, als sie in Tanger, Marokkos Pforte nach Europa, eintrafen. Tanger Ville war die Endstation, und der Bahnhof mit seiner sauberen, auf Hochglanz polierten Halle war ebenfalls eine Pforte. Sie führte hinaus auf die nächtlichen Straßen. Dort tobte das Leben, dort vibrierte die feuchte Luft der afrikanischen Nordküste.
    Sie hätten ihr Ziel im östlich gelegenen Vorort Malabata eigentlich bequem zu Fuß erreichen können, aber Munroe winkte, entgegen Logans Erwartungen, ein Taxi herbei. Im Schein der Neonröhren auf dem Bahnhofsvorplatz feilschte sie mit dem Fahrer, und Logan spürte ihre Hast und eine unterschwellige Unruhe.
    Die Fahrt dauerte nur wenige Minuten, dann hielt das Taxi vor einem dreistöckigen Gebäude direkt am Meer an. Das Apartmenthaus war, wie die meisten, die Logan unterwegs gesehen hatte, weiß getüncht und besaß ein Flachdach, das, wie er wusste, genauso zum Wohnraum gehörte wie die Zimmer im Inneren des Hauses.
    Er stieg aus und schmeckte die salzige Brise.
    Am Bordstein unweit des Hauseingangs
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