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Missing Link

Missing Link

Titel: Missing Link
Autoren: Walt Becker
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entferntesten direkten Vorfahren ein, den Australopithecus afarensis - zugegebenermaßen ein Affe, aber einer, der auf zwei Beinen ging -, und den Homo habilis, ein Werkzeugmacher und zur frühesten Spezies gehörend, die die Bezeichnung Homo verdiente.
    Dann kam der große Homo erectus , der auf erschreckende Weise wie ein Mensch aussah, allerdings nicht in der heutigen Bedeutung. Er tauchte vor etwa 1,7 Millionen Jahren auf und entwickelte sich bis vor dreihunderttausend Jahren, dann verschwand er. Er hatte weit ausgefeiltere Werkzeuge verwendet als der Homo habilis, und sein Gehirn war halb so groß wie das des heutigen Menschen. Der bekannteste Aufrechtgehende war vielleicht der »Turkana-Junge«, den die Leakeys vor zehn Jahren hunderte von Meilen östlich von Mali, in Kenia, gefunden hatten. Diese Entdeckung hatte Jack ursprünglich dazu veranlasst, wie viele andere Studenten seiner Generation auch, Paläanthropologie zu studieren.
    Ricardo würgte und entlud eine Salve unverständlicher Grunzer und Ächzer in die Kotztüte. Jack kam der Gedanke, dass sich der Homo sapiens neanderthalensis - die letzte Spezies mit dicken Augenbrauenwülsten und einem kurzen, muskulösen Körperbau - so angehört haben müsste. Die Neandertaler hatten eine größere Hirnschale als die meisten modernen Menschen, schienen aber nicht über eine voll ausgebildete Sprachfähigkeit zu verfügen. Eigentlich zeigte der Homo sapiens eher mit Schimpansen eine genetische Ähnlichkeit als mit der ausgestorbenen Spezies Neandertaler. Vielleicht könnte man der modernen Menschheit die Schuld am Verschwinden der Neandertaler geben, wie die neuesten Beweise vermuten ließen, nach denen die beiden Spezies tatsächlich ein paar tausend Jahre nebeneinander existiert hatten. Niemand jedoch war sich sicher, denn selbst als harte Fakten ans Tageslicht gekommen waren, wichen die Interpretationen dieser Fakten weit voneinander ab. Die Paläanthropologie war keine unumstößliche Wissenschaft, und genau deswegen fand sie Jacks Gefallen. Er liebte die Unsicherheit. Für ihn stellte der Weltraum keine Grenze dar. Das tat nicht einmal der Ozean. Die letzte große Grenze war das Verstehen unserer Vergangenheit.
    Die Paläanthropologie trägt in ihrem Herzen die grundsätzlichste Frage unserer Zeit: Wie kam unsere Spezies dazu, die Erde zu beherrschen? Die meisten Anthropologen glaubten, dass vor ein oder zwei Millionen Jahren Stämme des durch eine dicke Schädelwand gekennzeichneten Homo erectus von Afrika fortgezogen waren und sich möglicherweise im Vorderen Orient, in Europa und in Asien niedergelassen hatten. Die meisten stimmten auch darin überein, dass etwa 30 000 v. Chr. die einzigen auf der Erde verbliebenen Hominiden die vollkommen modernen, als Homo sapiens bekannten Menschen gewesen waren. Bislang unbeantwortet blieb die Frage, was in der geheimnisvollen langen Zeit dazwischen geschehen war.
    Für Jack bestand das besondere Geheimnis darin, wie unsere Spezies über Nacht aufgetaucht war - ohne irgendeine entscheidende Verbindung. Der Homo sapiens hatte sich nicht so einfach aus dem Homo erectus entwickelt. Es muss etwas Drastisches passiert sein - und das, während das Auge der Evolution nur einmal geblinzelt hatte. Der Homo sapiens war fast dreißig Zentimeter größer und hatte ein vorstehendes Kinn. Der Schädel erhob sich zu seiner größten Höhe bis über die Ohren hinaus, anders als der des Homo erectus, und wies nicht die starken Wülste an der Stirn auf. Die Zähne des Homo sapiens waren überraschend empfindlich, genauso wie, in Anbetracht seiner Größe, die Knochenstruktur. Wir wurden mit großem Kopf geboren und waren, mit einer kaum fünf Millimeter dünnen Schädeldecke, lange Zeit hilflos - im Gegensatz zu unseren Vorfahren mit dickem Schädel. Und schließlich die charakteristischen Merkmale der Intelligenz, des Bewusstseins von sich selbst, der Kultur und der Spiritualität - Wesenszüge, die dem Homo sapiens im Gegensatz zu den anderen Vorgängern eigen sind. Einfach ausgedrückt, hatte in der Zeit, die in der Evolution einer Millisekunde entspricht, ein großer Umformungsprozess stattgefunden - die märchenhafte Verwandlung eines Kürbisses in eine goldene Kutsche.
    Aber warum?, fragte sich Jack. Und, was weit wichtiger war, wie?
    Wie waren aus den begriffsstutzigen Vorfahren die Supermenschen hervorgegangen, die die Welt für immer änderten? Warum die sprichwörtliche Explosion in solch einer unendlich kleinen Zeitspanne?
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