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Missgeburt

Missgeburt

Titel: Missgeburt
Autoren: William C. Gordon
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das verglichen mit seinem alten eine deutliche Verbesserung darstellte. Es hatte nur den einen Nachteil, dass er es sich mit einem anderen Reporter der Zeitung teilen musste. Samuel konnte von seinem Platz bis ans Ende der Market Street sehen, wo die riesige Uhr des Ferry Building die Minuten und Stunden herunterzählte. Ein Sportsakko hing über dem hölzernen Drehstuhl. Sein weißes Hemd war zwar nicht frisch gebügelt, aber auch nicht wirklich zerknittert, und das wenige, was von seinem roten Haar noch übrig war, war über seine sommersprossige Glatze glatt nach hinten frisiert.
    »Samuel, ich bin’s, Melba.«
    »Das nenne ich aber eine Überraschung um diese Zeit. Ist etwas mit Blanche?«, fragte der Reporter sofort besorgt.
    »Soll das ein Witz sein? Dieses Mädchen ist absolut unverwüstlich.
Das solltest du eigentlich am besten wissen. Nein, ich rufe aus einem anderen Grund an. Ich habe gerade hier unten in China Basin ein Stück Fleisch entdeckt, das möglicherweise von einem Menschen stammt. Deshalb habe ich schon mal unseren Freund Turtle Face in der Rechtsmedizin informiert. Er ist bereits auf dem Weg hierher. Könnte das nicht auch für dich als Journalist interessant sein?«
    »Bin schon unterwegs«, antwortete Samuel. »Soll ich einen Fotografen mitnehmen?«
    »Das musst du entscheiden. Es ist deine Story, nicht meine.« Melba hörte, wie der Reporter die Tür seines Büros öffnete und den Gang hinunterbrüllte: »Marc, es gibt Arbeit, los!« Dann legte er auf.
    Coroner Barnaby McLeod, der Leiter der Rechtsmedizin von San Francisco, war ein großer Mann mit einem kleinen Kopf, schütterem braunem Haar und hängenden Lidern. Er trug einen offenen weißen Kittel über Hemd und Krawatte und stocherte gerade mit einem Zeigestab in dem Leinenbündel, als Samuel und sein Fotograf Marcel Fabreceaux in dessen grünem 47er Ford Coupé eintrafen.
    Samuel begrüßte Melba und kraulte den aufgeregten Excalibur am Kopf, dann wandte er sich Turtle Face zu. »Tag, Coroner McLeod. Lange nicht gesehen. Das letzte Mal hatten wir, glaube ich, in Mr. Songs chinesischem Kräuterladen das Vergnügen, und das muss schon mindestens ein Jahr her sein.« Der Reporter versuchte, an dem hochgewachsenen Rechtsmediziner vorbeizulinsen, um einen Blick auf das Bündel zu erhaschen, das dieser untersuchte.
    »Allerdings.« Der Coroner verzog das Gesicht. »Dieser Dreckskerl Perkins. Unglaublich, was dieser Wichtigtuer wegen des lächerlichen chinesischen Topfs für ein Theater gemacht hat. Erinnern Sie sich noch?«
    »Wie sollte ich das jemals vergessen? Diesem Fall habe ich es
zu verdanken, dass ich inzwischen Reporter bin und keine Anzeigen mehr akquirieren muss.« Doch dann kam Samuel ohne Umschweife zur Sache. »Was gibt es hier denn Interessantes, Coroner?«
    »Die Neuigkeit scheint sich rasch herumgesprochen zu haben«, bemerkte der Rechtsmediziner mit einem Gesichtsausdruck, der für seine Verhältnisse einem Lächeln schon recht nahe kam. Dann wandte er sich Melba zu, die bis dahin noch kein Wort gesagt hatte. Sie musste Excalibur, auf den das Stück Fleisch nach wie vor eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausübte, mit aller Gewalt zurückhalten, als sie auf die drei Männer zuging. Der Coroner streckte ihr seine erhobene Handfläche entgegen. »Bleiben Sie bitte zurück. Wir müssen erst noch unsere Untersuchungen zum Abschluss bringen. Am Tatort sollte möglichst nichts verändert werden.«
    »Sie haben die Fundstelle bereits als Tatort deklariert?«, fragte der Reporter erstaunt und signalisierte Fabreceaux, ein Foto von Coroner McLeod zu machen, der mit dem Zeigestock in der Hand auf das rätselhafte Bündel auf dem Boden hinabblickte. Die zwei Assistenten des Coroner hatten eine etwa fünf Quadratmeter große Fläche um die umgekippte Mülltonne markiert und waren gerade dabei, jeden Zentimeter Boden gewissenhaft abzusuchen und alles zu fotografieren, was sich dort im Lauf der Zeit angesammelt hatte oder aus der umgestürzten Mülltonne gefallen war. Jeder Gegenstand wurde mit Gummihandschuhen hochgehoben, nach Fingerabdrücken untersucht, mit einer Nummer versehen und in eine Beweismittelbox gelegt. Sobald die beiden Männer damit fertig waren, nahm sich der Coroner den Leinensack vor.
    »Sehen Sie die Eisschicht an der Oberfläche?«, murmelte er nachdenklich. »Dieses Stück Fleisch muss bis vor kurzem in einer Gefriertruhe gelegen haben.«
    Samuel konnte erkennen, dass die Oberfläche des Fleischklumpens frostig
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