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Mischpoche

Titel: Mischpoche
Autoren: Gmeiner-Verlag
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gell?!«
    »Ja, sicher«, übte er sich in Überzeugung.
    »Noch ehe der Hahn dreimal kräht …«
    »Was soll das jetzt?« Bronstein spürte, wie er ernsthaft zornig wurde.
    »Ich sag’ dir was: wenn es darum geht, ob irgendein Missstand fortbesteht oder deine Karriere, dann wirst du dich immer für Letzteres entscheiden. Und – Moment, lass mich ausreden – das nehme ich dir auch gar nicht übel. Jeder würde so entscheiden. Aber genau deshalb sind Revolutionen bisher immer gescheitert. Man macht ein kleines, scheinbar unbedeutendes Zugeständnis hier, toleriert einen angeblich vernachlässigbaren Missstand da, und ehe man es sich versieht, ist man selbst Teil des Sumpfes, der einst Monarchie gerufen wurde und sich jetzt Demokratie nennt. Und das Faszinierende daran: das geschieht ganz schleichend. Du merkst es selbst gar nicht, hältst dich immer noch für ehrlich und integer. Aber in Wirklichkeit bist du längst schon Teil des Krebsgeschwürs, welches das Volk zerfrisst. Denn das Sein, David, bestimmt das Bewusstsein. Wer der Herrschaft dient, ja, wer ihr auch nur gefallen will, der ist selbst Teil der Herrschaft – und damit ein Übel für das Volk.«
    Bronstein schlug mit der flachen Hand auf den Tisch: »Jetzt reicht’s aber. Das muss ich mir nicht sagen lassen. Ich habe noch nie etwas getan, wozu ich nicht stehen konnte.«
    »Vielleicht noch nicht. Aber dann kannst du auch nicht wissen, wie du reagieren würdest, wenn du vor eine solche Entscheidung gestellt würdest.«
    Bronstein unterdrückte einen Fluch.
    »Erinnere dich an den Gründonnerstag«, fuhr Jelka fort, »da haben Arbeitslose vor dem Parlament demonstriert, und deine Kollegen haben die Menge zusammenschießen lassen.«
    »Ja, weil sie das Parlament abfackeln wollten, das ist ja etwas völlig anderes«, brauste Bronstein abermals auf, »da muss man natürlich einschreiten. Aber das hat ja auch nichts mehr mit Demokratie zu tun… Die haben sogar die Pferde der berittenen Truppe getötet«, fügte er mit bitterem Ton hinzu.
    »Die an Ort und Stelle von Passanten verspeist wurden, weil in deiner Demokratie ja für alle Milch und Honig fließen.«
    »Du weißt genau, dass das der Hinterlassenschaft der Monarchie geschuldet …, ach was, das wird mir jetzt zu blöd. Ich stell mich da nicht länger hin!«
    Er stand auf und trat in den Flur, um sich ausgehfertig anzukleiden: »Wir sehen uns«, rief er in die Küche, »wennst wieder runtergekommen bist von dem Baum, den du da aufgestellt hast.«
    »Ja, aber nur, wenn deine Kollegen mich lassen!«
    Bronstein ging noch einmal in die Küche zurück: »Was soll das schon wieder heißen?«
    »Das soll heißen, dass wir heute, wie du es nennst, demonstrieren. Und dann werden wir ja sehen, wo du mich sehen wirst: hier, im Kriminal, im Leichenschauhaus …, alles ist möglich!«
    »Weißt was? Du kannst mir den Hobel ausblasen mit deinen ewigen Provokationen! Ich geh jetzt ins Büro. Weil, ein ehrlicher Mensch hat eine ehrliche Arbeit. Der hat keine Zeit zum Demonstrieren!« Ohne eine Antwort abzuwarten, trat er in den Gang und knallte die Tür zu.
     
    Wie immer, wenn er sich mit Jelka gestritten hatte, fühlte sich Bronstein den ganzen Tag über hundeelend. Am liebsten hätte er alles liegen und stehen gelassen, um zu ihr zu laufen und sich für seine Worte zu entschuldigen. Aber Dienst war Dienst, und da gab es keinen Gewissensspielraum, der es einem erlaubte, selbigen für private Obliegenheiten zu ignorieren. Ob es da wirklich eine Demonstration gab?
    Bronsteins innere Unruhe wuchs mit jeder Minute, die sein Körper an den Schreibtischsessel geschraubt war. Schließlich ertrug er es nicht länger und griff zum Telefon. Er ließ sich mit dem staatspolizeilichen Büro verbinden, wo er nach Hofrat Pataki verlangte, den er von früher gut kannte.
    »Sag«, begann er vorsichtig, »weißt du irgendetwas von einer Kommunistendemonstration heute?«
    »Da schau her, David. Wer hat dir denn das geflüstert? Bist ja gut informiert!«
    »Na, so gut auch wieder nicht, wie du merkst. Sonst müsste ich ja nicht nachfragen.«
    Pataki lachte kurz, um sofort wieder ernst zu werden. »Ehrlich, David, die G’schicht’ ist kein Spaß. Wir haben seit dem 12. dieses Monats Hinweise darauf, dass die Kommunisten putschen wollen. Du, ich sag dir’s, wenn die Sozis nicht wären, hätten wir keine Chance gegen die. Aber auf die Roten ist Verlass. Der Bauer und der junge Adler, die haben ihre Leut’ im Griff, und wenn einer
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