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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry
Autoren: Astrid Paprotta
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– was war mit den anderen gewesen, die hatten geschrien, das war das schlimmste gewesen, das Gebrüll. Sie hier hockte nur da. Mußte man sich ein bißchen bücken, um ihr ins Gesicht zu sehen, in die dunkelblauen Augen, die jetzt noch dunkler waren, ja, ein Zeichen von Angst. Sie war schon am Boden, doch sie schien immer noch kleiner zu werden. Trotzdem hielt sie nicht den Mund, redete vielleicht, weil sie Angst hatte, ja, manche machten das, redeten sich das Entsetzen vom Leib und die Angst.
    »Was haben sie getan?« fragte sie. »Die müssen dir doch was getan haben, nein?«
    »Keiner tut mir was.« Biggi lächelte. »Warum sollte mir jemand was tun? Das wäre sinnlos. Sie schließen von sich auf andere, Sie stecken die Schläge ein, da glauben Sie, andere täten das auch.«
    »Und tun sie’s nicht?« Die Henkel versuchte sie anzusehen, aber ihr Blick war fahrig. »Von wem redest du, von dir?«
    Biggi sah die Krücke in ihrer Hand, sie brauchte sie nicht. Nur ein Stöckchen, mit dem man herumspielen konnte und das ein Geräusch machte, wenn es gegen Fußsohlen schlug und gegen Knöchel, ein hohl klingender Ton.
    »Hör auf«, flüsterte die Henkel. Schweiß auf ihrer Oberlippe. Sie sah zu ihr auf, als würde sie betteln. »Es tut so weh. Hör auf. Bitte.«
    Biggi kniff die Augen zusammen. Das war höflich gewesen, ehrlich. Eigentlich wollte sie das selber nicht, wollte nicht auf ihrem bösen Fuß herumspielen, sie stoßen oder stupsen, nein, das war nicht richtig. Das tat ihr ja fast selber weh. Sie sah auf den Stock in ihrer Hand und hatte das Gefühl, daß sie manchmal etwas tat, was sie nicht wollte. Vielleicht, weil sie einen Moment lang nicht gewußt hatte, was sie sagen sollte, das war dumm, das durfte nicht passieren. Sie wußte immer, was sie sagen mußte, war nie um ein Wort verlegen, sagte: »Die Jung hatte Angst, den Absprung zu verpassen, welchen Absprung, wissen Sie das?« Sie strich mit der Schuhspitze über den Boden. Das Gefasel der Jung. Hatte man doch auswendig gewußt, was kam. Sie war so vertraut gewesen, schon von der ersten Minute an, alle waren vertraut gewesen, und es hatte gut getan, sich von ihnen zu befreien. Wie Balsam war es gewesen, nichts mehr von ihnen zu hören und zu sehen. Dann hatte sie es vergessen, dann waren sie nur tot gewesen, Julia und Martin und die Jung. Tot. Hatte sie nichts mit zu tun.
    Es war still hier drin. Die Henkel starrte sie an. Hin und wieder konnte man ihren Atem hören, so ein Keuchen, das in Schüben kam, das lag vielleicht an ihrem krummen Bein. Ein bißchen verkrüppelt, wo sie doch immer so leichtfüßig ging und sich auftakelte.
    Biggi schüttelte den Kopf. »Komisch, daß es Leute gibt, die nichts zustande bringen. Die latschen dann in die Talkshows.« Vielleicht redete sie zu laut, denn die Henkel hatte den Kopf gegen die Wand gedrückt, als suche sie Schutz. Wie ein kleines, verängstigtes Tier hockte sie da, fand keinen Bau, sich zu verkriechen.
    Es war aber schön, zu reden. »Die sind zuviel allein, wissen Sie? Das ist mit Julia und Martin auch so gewesen. Ja, man wird wunderlich mit der Zeit, solche Leute gibt’s. Die kriegen dann vom Leben nichts mehr mit. Gucken von drinnen nach draußen, haben Sie ja gesehen. Die Jung am Fenster –« Sie lachte. »Kommt Ihnen das bekannt vor?«
    »Ich weiß nicht.« Die Henkel konnte nur noch flüstern. »Kommt es dir bekannt vor?«
    »Sie gehören zu den Leuten, denen man die Klappe extra totschlagen muß, wenn sie schon hin sind.« Biggi lachte, aber fühlte das Lachen nicht, und das verkrampfte ihr den Magen, denn sie wollte das Lachen spüren, unbedingt.
    »Erzähl mir von dir.«
    »Extra totschlagen –« Ja. Und der Stock hier, er stieß noch ein wenig gegen ihren bösen Fuß, nicht zu heftig, weil das gemein wäre, nur so, daß sie es spürte. Sie spürte es auch, holte ruckartig Luft. Sie sollte nicht so reden, das mußte sie begreifen. Redete noch immer viel zu viel. Redete wie Gabriel, Gabriels Pfaffengeschwätz, über das er nach der Sendung selber lachte.
    »Sie haben es jetzt verstanden, ja?« Biggi sah sie an, und sie sagte leise: »Ja.«
    »Sehen Sie? Das geht nicht, das kann man nicht mit jedem machen, denn es soll Menschen geben, die schlagen zurück. Haben Sie das gewußt? Warum lassen Sie sich denn schlagen?« Biggi ging erneut auf sie zu und konnte sehen, wie sie zurückzuckte, ja, das tat sie. Es ging aber nicht weiter zurück, sie war schon an der Wand. »Das nehmen Sie hin, wenn er
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