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Millionär

Millionär

Titel: Millionär
Autoren: Tommy Jaud
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reinlassen könntest?«
    »Mach ich ... gerne.«
    Johannas Hummer fährt ab, ich bleibe regungslos stehen vor meinem neuen Haus. Schließlich gehe ich still nach drinnen und drücke den Schalter für das Flurlicht. Noch exakt drei Lichtphasen bleibe ich unten im Treppenhaus, erst dann finde ich die Kraft, in meine Wohnung raufzugehen, um auf dem Sofa zusammenzubrechen. Ich liege nur wenige Minuten da, bis es an meiner Tür klopft. Es ist Herr Schnabel aus dem 1. OG. Er hat gehört, dass ich der neue Besitzer bin, und beschwert sich über das Flurlicht.
    »Ich kümmer mich drum!«
    Eine geradezu bleierne Stille liegt über mir und meiner Wohnung. Kein Knicks, kein Knacks, kein »Schlecht, schlecht, schlecht!«
    Und jetzt?
    Wie eine leere Hülle wandere ich durch meine 51 Quadratmeter. Mal sitze ich in der Küche und schaue raus auf mein Basilikum, mal liege ich auf der Couch und starre nach oben. Der Gedanke, dass ich mir den ganzen Scheiß hätte sparen können, ist derart unerträglich für mich, dass ich mir schon beim ersten Zucken der Dämmerung ein Bier aufmache.
    Hey!
    Ich kann endlich in Ruhe Dokus gucken!
    Ich kann Dokus gucken, bis mir schlecht wird, eine nach der anderen: Wohnen nach Wunsch, Mein neues Leben, Monstergarage, Das perfekte Dinner oder auch Zoff im Treppenhaus -Wenn Mieter und Vermieter streiten.
    Ich schalte den Fernseher ein und schalte auf Kabel eins, wo sich eine schwäbische Großfamilie eine Ferienanlage auf den niederländischen Antillen baut.
    Toll. Und was bedeutet das konkret für mich?
    Ich schalte zu Frauentausch, wo es heute um eine apathische Kifferin geht, die für zehn Tage in einen stressigen Hotelbetrieb eingebunden ist.
    Tolle Idee. Aber was bedeutet das konkret für mich?
    Zum ersten Mal überhaupt frage ich mich, warum ich meine Abende damit verbringen soll, mir Geschichten anzuschauen, die anderen Leuten passieren. »Schlecht, schlecht, schlecht!«, sage ich, schalte den Fernseher aus, greife zu meinem Telefon und überlege, was ich sage.
    Hallo, ich möchte nicht aufgenommen werden zu Schulungszwecken und ein Kölsch mit dir trinken. Oder:
    Hallo, ich möchte keine Dosierhilfe und würde dich gerne endlich kennenlernen.
    Ich beschließe, dass es egal ist, was ich sage, solange ich nur anrufe. Und so wähle ich zum ersten Mal seit der Prinz-
    Charmin-Situation wieder die Nummer der Procter & Gamble-Hotline. Es tutet eine Ewigkeit, bis mich das System durchstellt.
    »Procter & Gamble Verbraucherservice, mein Name ist Carmen Oh, was kann ich für Sie tun?«
    Ein wenig irritiert richte ich mich auf.
    »Wäre es wohl möglich, also ... ich weiß, dass Sie eigentlich nicht durchstellen, aber ich würde gerne mit Frau Kaspar sprechen.«
    »Das tut mir leid, aber Frau Kaspar ist leider nicht mehr bei uns im Hause.«
    Mir wird ein wenig schummrig im Kopf. Nicht mehr im Haus? Verunsichert stehe ich auf und gehe zum Fenster.
    »Wann kommt sie denn wieder? Morgen früh? Nachmittags?«
    »Darüber darf ich Ihnen leider keine Auskunft geben.«
    »Aber ... ich bin ein Freund.«
    »Bei allem Verständnis, aber das kann jeder sagen.«
    »Okay. Annabelle Kaspar hat einen Hund, der heißt Fluff, mit dem ist sie vor über einem Jahr aus Köln geflüchtet wegen ihrem Verlobten. Außerdem schmiert sie Ketchup auf alles, was man essen kann, und hat eine wunderbare Stimme.«
    »Annabelle wurde entlassen.«
    »Wie bitte?« Ich setze mich wieder.
    »Die Geschäftsleitung hat ihren Gesprächs-Account gecheckt. Da war dann leider das eine oder andere Privatgespräch zu viel dabei. Und die sind bei uns nun mal streng verboten.«
    »Oh!«, sage ich.
    »Jetzt sind Sie wirklich überrascht oder?«, höre ich Frau Oh aus der Ferne.
    »Ja«, antworte ich und lege auf.
    Vorsichtig stelle ich das Telefon auf die Fensterbank. Und immer stärker tröpfelt die Erkenntnis in mein verwirrtes Hirn,
    dass ich nun vielleicht ein Millionär bin, mit Sicherheit aber auch der größte Vollidiot, der rumläuft.
    schulungszwecke
    So klein Asets Kiosk auch ist - er hat eine wirklich großartige Getränkeauswahl. Ich überlege, wie viel Alkohol genau ich brauche, um die letzten drei Wochen zu vergessen. Ein Sixpack reicht da nicht, so viel ist schon mal klar. Natürlich habe ich es noch ein paar Mal probiert bei der Verbraucherhotline in der stillen Hoffnung auf einen Scherz, was die Entlassung angeht. Irgendwann gegen kurz nach acht haben sie meine Nummer gesperrt. Besetztzeichen schon nach den ersten fünf Ziffern.
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