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Michael, der Finne

Michael, der Finne

Titel: Michael, der Finne
Autoren: Mika Waltari
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ihrem grimmigen Machthunger keinen Pfennig für das Leben eines Mannes oder die Ehre einer Frau gaben. Mich überfiel ein fürchterlicher Zweifel am Dasein Gottes. Der Menschenverstand konnte einen barmherzigen Gott nicht fassen, der seinen eigenen Sohn gesandt hatte, um die Sünden der Welt hinwegzunehmen, und dann die Zerstörung Seiner Heiligen Stadt zulassen konnte. So bedeutete mir der Fall Roms nicht den Anbruch einer neuen Zeit, sondern eher das Ende der Welt, das Losbrechen der Heerscharen des Teufels und den Sieg des Antichrist in der Gestalt des Kaisers.
    Meine Seele war nackt und leer; mein Leib aber meldete bescheiden seinen Hunger an und ließ mich hoffen, meine Verzweiflung entspringe nur dem Fasten und unmäßigen Trinken. Ich fand kein Haus, das nicht geplündert worden war, obwohl über diesem Teil der Stadt das Schweigen der Verlassenheit lag. Endlich durchschritt ich einen Torbogen und stand unter blühenden Bäumen im Garten eines kleinen Hauses. Ich betrat ein verwüstetes Gemach nach dem anderen, traf aber keine Menschenseele an, bis ich in ein inneres Gemach geriet, wo eine wildblickende Frau mit wirrem Haar auf mich zutrat. Sie legte den Finger auf die Lippen und wies auf einen Greis, der im Bett lag. Er atmete schwer, seine Lippen und Wangen waren blau, und ich sah, daß er an einer schweren Herzkrankheit litt und bald sterben mußte.
    Die Frau nötigte mich aus der Kammer und folgte mir, maß mich ein Weilchen und riß dann mit dem Ausdruck müden Ekels ihr Kleid auf, legte sich auf den Boden und sprach: »Wenn noch ein Funke menschlichen Mitleids in Euch lebt, guter Herr, macht es kurz mit mir und laßt mich zu meinem kranken Vater zurück, damit ich an seiner Seite bin, wenn er stirbt. Ich schwöre bei allem, was heilig ist, daß ich nichts in seinem Bett versteckt habe; sein und mein Leben habe ich mit unserem letzten Pfennig erkauft. So beeilt Euch denn. Nachher möget Ihr mitnehmen, was Ihr wollt, wenn Ihr mich nur in Frieden laßt.«
    Ich war so erfüllt von meinen eigenen schweren Gedanken, daß ich nicht gleich erfaßte, was sie meinte. Dann errötete ich tief, wandte den Blick ab und sagte: »Ich habe nicht die Absicht, Eurer Ehre nahezutreten. Ich möchte nur um Essen bitten, so Ihr noch davon habt, und dafür bezahlen. Ich bin Arzt und will Eurem Vater gerne helfen, wenn ich darf, obwohl ich fürchte, daß menschliche Hilfe hier nichts mehr vermag.«
    Mein Hund lief auf die Frau zu und leckte ihr die Hand; sie richtete sich überrascht auf, errötete leicht, und bedeckte den Busen.
    »Ist es denn möglich, daß ich unter all den reißenden Tieren einen Menschen treffe?« rief sie. »Ich hatte selbst den Glauben an die Heiligen verloren. Ein Barbar nach dem anderen hat mein heißes Flehen mit Gewalt beantwortet. Sie zerrten meinen Vater aus dem Bett und schlitzten die Matratze auf, worin sie Geld vermuteten. Seid Ihr aber wirklich ein guter Mensch, so holt mir in Gottes Namen einen Priester, denn mein Vater bedarf seiner mehr als eines Arztes. Unsere Dienerschaft ist geflohen und unter die Plünderer gegangen, und als ich gestern selbst einen Priester suchen ging, wurde ich auf der Straße überfallen und beraubt und wagte nicht weiterzugehen.«
    Ich sagte ihr, daß der Papst die Ausübung der Religion in Rom untersagt hatte und es fraglich sei, ob ein Priester es wagen würde, gegen das Interdikt zu handeln. Sie aber meinte hochmütig, der Heilige Vater würde wohl die Letzte Ölung einem seiner ergebensten und treuesten Untertanen nicht einfach verweigern, nur weil ihn selbst Unglück befallen habe. Sie hatte sich aus ihrer erniedrigenden Stellung erhoben und stand nun aufrecht, das Haupt stolz zurückgeworfen. Sie war eine wunderschöne Frau, etwa so alt wie ich, und stammte sichtlich aus guter Familie.
    Ihr Kummer bewog mich, ihr zu willfahren. So meinte ich: »Ich werde einen Priester holen, wenn noch einer in Rom am Leben ist.«
    Ich fühlte dem Kranken den Puls und lauschte seinem Atem, erkannte, daß er nur noch wenige Stunden zu leben hatte, und zweifelte, ob er die Wegzehrung empfangen könne. Ich machte mich jedoch eilends auf den Weg und erwischte einen Priester, der eben aus einer Kirche nahe einer Brücke schlich. Ich packte ihn, hielt ihn trotz seines Sträubens fest und bat ihn ehrerbietig, mitzukommen und seines heiligen Amtes zu walten; er aber entschuldigte sich mit dem Interdikt. So blieb mir nichts anderes übrig, als ihm das Schwert auf die Brust zu setzen und
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