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Meuterei auf der Deutschland

Meuterei auf der Deutschland

Titel: Meuterei auf der Deutschland
Autoren: Klecha Walter Hensel
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wann welche Position vertreten hat, was sich wiederum nicht mit dem Datenschutz vereinbaren ließe. Aus demokratietheoretischer Sicht wäre an einer Pflicht zur Namensnennung bedenklich, dass gerade bei bestimmten Fragen geheime Abstimmungen unerlässlich sind, damit die Menschen ohne Angst vor möglicherweise drohenden Repressionen eine Entscheidung treffen können. Jede Weiterentwicklung von LiquidFeedback steckt an dieser Stelle also in einem unauflösbaren Dilemma.
    Mit LiquidFeedback lassen sich gleichwohl rasch Stimmungsbilder von der Basis einholen, was sich bislang beispielsweise aus Sicht der Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus als nützlich erwies. Daran zeigt sich jedoch zugleich, dass das System nicht notwendigerweise Bottom-up-Prozesse fördert. Vielmehr kann es von der Parteispitze oder einer Fraktion eingesetzt werden, um Macht zu zentralisieren, Entscheidungsspielräume auszudehnen und die eigene Durchschlagskraft zu erhöhen. Auch unter diesem Gesichtspunkt kann es allenfalls als Forum der Basispartizipation gelten, nicht als Kanal der Basisdemokratie.
    Kurzum: Die Piraten bieten ihren Mitgliedern zwar eine breite Palette an Optionen, sich zu organisieren, Positionen zu entwickeln und sich Meinungen zu bilden. Doch all das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es neben dem Parteitag mit seiner brüchigen Legitimationsbasis an klaren und verbindlichen Entscheidungsstrukturen und -mechanismen mangelt. Selbst eine verpflichtende Einführung von LiquidFeedback würde dieses Problem nicht unbedingt lösen, sondern möglicherweise sogar verstärken. Zentrale Kriterien der Demokratie werden somit nicht erfüllt. Präziser ist es daher, bei den Piraten von Basispartizipation statt von Basisdemokratie zu sprechen.
    Hinsichtlich ihrer Fähigkeit, das Programm in Zukunft weiterzuentwickeln, sind die Optionen der Partei schließlich strukturell begrenzt. Die Masse der alten und neuen Mitglieder droht mit dem Schwarm der Mehrheit zu treiben, der seinerseits einmal getroffene Entscheidungen tradiert und durch die hohen Hürden für Sachentscheidungen langfristig festschreibt.
4.3 Erkennbare Schwierigkeiten
    Neben den grundlegenden Schwierigkeiten in Bezug auf die Stabilität und Verlässlichkeit der Wählerschaft sowie den Problemen bei der politischen Agendasetzung und der Legitimation von Entscheidungen stellt die gegenwärtige Dynamik der Mitgliederentwicklung absehbar eine weitere Herausforderung dar. Noch gibt es für jedes Mitglied überall etwas zu gewinnen und nur selten etwas zu verlieren. Entsprechend wurden organisatorische Wagnisse bislang eher als Chancen denn als Risiken verstanden. In dem Augenblick aber, in dem die Wachstumskurve bricht, in demetablierte Abgeordnete ihr Mandat verteidigen müssen, wird es schwieriger. Vor allem die gegenwärtig ungleichmäßige geografische Verteilung der Mandate könnte sich insofern als problematisch erweisen, wenn die unterrepräsentierten Regionen irgendwann selbst Ansprüche stellen.
    In einem auf Delegation gestützten Modell würde es im Vorfeld der entscheidenden Aufstellungsversammlungen zu Verhandlungen kommen, man würde Kompromisse ausloten und Bündnisse schmieden. Vertreter schwach repräsentierter Interessen könnten sich zusammenschließen und auf bestimmte Delegierte einwirken, um ihre Positionen durchzusetzen. In plebiszitären Systemen droht hingegen immer die Gefahr, dass sich einmal entstandene Hochburgen reproduzieren.
    Um diesem Dilemma zu entkommen, müsste die Piratenpartei in ihrer weiteren Organisationsentwicklung Vorkehrungen treffen. Doch genau das werden die Piraten aus drei Gründen vorerst nicht tun: Erstens setzt ein System des Ausgleichs eine Struktur der Deliberation, der Verhandlung voraus. Verhandlungen ergeben aber nur zwischen Personen Sinn, die eine entsprechende Verhandlungsmacht einbringen können und die auszuloten imstande sind, welche Kompromisse sich realisieren lassen und welche nicht. Die Verhandlungspartner müssen zudem mit der Autorität ausgestattet sein, im Vorfeld festgelegte Positionen und Angebote im Zuge der Beratungen zu verwerfen oder mit anderen Ansichten zu neuen Synthesen zusammenzufügen, flexibel unvorhersehbare Bündnisse mit der Gegenseite zu schmieden und die Resultate der Verhandlungen schlussendlich gegenüber den eigenen Anhängern durchzusetzen. Dadurch mangelt es diesem Verfahren aber natürlich an genau der Transparenz, auf welche die Piraten so großen Wert legen. Zweitens verfestigt
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