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Messewalzer

Messewalzer

Titel: Messewalzer
Autoren: Andreas Stammkötter
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Reis. Seinen Kollegen Kroll konnte er nicht erreichen, weil der sein Handy ausgestellt hatte.
    Als Wiggins wieder die Pfeifenstube betrat, erwartete ihn ein heilloses Durcheinander. Eine Handvoll Gäste lief hysterisch schreiend umher, andere waren weinend in sich zusammengefallen. Die meisten Besucher saßen wie versteinert auf ihren Plätzen, der Schock des eben Erlebten hatte sich tief in ihre Gesichter gegraben. Liane Mühlenberg umarmte den toten Körper ihres Freundes und schluchzte lautlos. Einige Gäste waren aufgestanden und standen ratlos um den Schreibtisch herum, wie um ihr Trost zu spenden.

    Wiggins war noch nicht in der Lage, seine eigenen Gefühle einzuordnen. Obwohl vor wenigen Minuten sein alter Freund erschossen worden war, konnte er keine persönliche Betroffenheit spüren. Wie ein Schutzmechanismus legte sich seine berufliche Routine über alle Empfindungen und blockierte seine Emotionen. Er verrichtete seine Arbeit, so als handelte es sich um einen alltäglichen Fall.
    Er konnte in der Pfeifenstube nichts mehr tun. Er brauchte keine Zeugen zu vernehmen, weil er selbst alles genauestens mit angesehen hatte. Die Wahrscheinlichkeit, dass einer der Gäste auf der Straße etwas gesehen hatte, war sehr gering. Er würde sich eine Gästeliste geben lassen. Die Befragung konnten die Kollegen auch später noch durchführen.
    Die Leute von der Spurensicherung verrichteten ihre Arbeit, die Leiche von Willi Lachmann lag schon in dem Transportsarg aus Zink. Um Liane konnte er sich nicht kümmern, weil sie nicht ansprechbar war. Der Rechtsmediziner Dr. Schmidt hatte ihr eine Infusion in die Vene gelegt und entschieden, sie ins Krankenhaus einliefern zu lassen. Wiggins versuchte, erneut vergeblich, Kroll telefonisch zu erreichen. Er beschloss, in die gemeinsame Wohnung von Willi und Liane in der Ferdinand-Lassalle-Straße zu fahren. Den Schlüsselbund hatte der Autor auf dem Schreibtisch in der Pfeifenstube abgelegt. Wie er zu der Adresse gelangte, wusste er. Er war schon oft genug da gewesen.

    Die Wohnung des Paares lag im dritten Stock eines imposanten Gründerzeithauses. Wiggins erkannte sofort die Einbruchspuren an der Wohnungstür. Jemand hatte mit einem Stemmeisen das Schloss überwunden. Wie oft hatte Wiggins seinen Freunden geraten, noch ein oder besser zwei Sicherheitsschlösser anbringen zu lassen, aber sie hatten seinen Ratschlag immer als beruflich bedingte Panikmache abgetan. Er betrat die Wohnung. Im Flur konnte er nichts Ungewöhnliches entdecken. Er überlegte einen Moment, ob es nicht besser wäre, zunächst auf Verstärkung zu warten. Wiggins war allein, und seine Dienstwaffe lag im Präsidium. Sollte sich noch jemand in der Wohnung aufhalten, befand er sich in einer nicht zu unterschätzenden Gefahr. Er entschied sich, weiterzugehen, schaltete das Licht im Flur an und zog die Wohnungstür hinter sich zu. Im Wohnzimmer war auch nichts Auffälliges zu erkennen. Es herrschte die normale Unordnung, wie er sie schon früher erlebt hatte. Nach einem Einbruch, insbesondere einem Diebstahl, sah es anders aus, das wusste er. Er nahm sein Handy und benachrichtigte die Spurensicherung.
    Das Arbeitszimmer ließ deutlichere Spuren der Verwüstung erkennen. Die Schreibtischschubladen lagen auf dem Boden, und ihr Inhalt verteilte sich im ganzen Zimmer. Papiere waren überall verstreut. Im Bücherregal stand kein Buch mehr neben dem anderen, es war wie leer gefegt. Der Bildschirm, der normalerweise auf der rechten Seite des Schreibtisches stand, lag mit zersprungener Scheibe auf dem Fußboden. Der Computer fehlte. Wiggins wusste, dass der Laptop des Autors immer im Regal lag, wenn er nicht in Benutzung war. Dieser war ebenfalls verschwunden. Ihm war jetzt klar, wonach der oder die Täter gesucht hatten. Er sah sich die Papiere an, die auf dem Boden verstreut herumlagen. Es waren alles alte Manuskripte, versehen mit vielen handschriftlichen Anmerkungen des Autors. Ein aktuelles Manuskript konnte Wiggins nicht entdecken. Sämtliche Texte kamen Wiggins, der alle Bücher von Lachmann gelesen hatte, bekannt vor. Die weiteren Nachforschungen überließ er den Mitarbeitern der Spurensicherung.

ZWEI
    Am nächsten Morgen gegen acht Uhr strapazierte Wiggins die Klingel an Krolls Wohnungstür. Es dauerte über fünf Minuten, bis ihm sein übermüdeter und zerknitterter Kollege öffnete. Er hatte nur eine Boxershorts an. Trotz seiner inzwischen 45 Jahre war Krolls Körper noch erstaunlich gut in Schuss. Dies lag
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