Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mercy, Band 4: Befreit

Mercy, Band 4: Befreit

Titel: Mercy, Band 4: Befreit
Autoren: Ilse Rothfuss
Vom Netzwerk:
zerfetzte, muffige Lederjacke an, mit einem frischen langärmligen Shirt und Jeans darunter. Die Jacke ist wie ein Talisman für ihn, der Glück bringen soll. Er hat kein Wort mit mir geredet, seit er allein in seinem Bett aufgewacht ist. Er hat nicht mal gemerkt, dass ich die ganze Nacht bei ihm war.
    Auch gut. Soll er mich ruhig für hart und gefühlskalt halten. Es ist leichter so.
    Vor dem Haus parkt Richard Coates gerade seinen verrosteten roten Lastwagen. Zwei schlammbespritzte Motorräder – ein grün-weißes und ein blau-gelbes – sind mit Kabeln auf der offenen Ladefläche festgezurrt. Richard hievt sie auf die Straße hinunter und Ryan hilft ihm dabei, nachdem er das Gartentor zugesperrt und den Schlüssel eingesteckt hat, wahrscheinlich nur aus alter Gewohnheit.
    Wortlos überreicht Richard ihm den Schlüssel für die grün-weiße Maschine und holt ein paar Helme aus dem Führerhaus. Zwei gibt er Ryan, einen drückt er sich selbst auf den Kopf, winkt Lauren zu sich und streift ihr vorsichtig den Helm über den Zopf. Dann schwingt er ein Bein über den Sattel, dreht sich um und hilft Lauren auf den Rücksitz. Lauren zögert einen Augenblick, bevor sie ihre Arme fest um seine Hüften schlingt.
    „Fertig?“, brummt Ryan und reicht mir einen der beiden Helme. Wir starren uns unter unseren Visieren an wie zwei augenlose Aliens, dann schwingt Ryan sich auf die Maschine und wartet, dass ich hinten aufsteige.
    Ich klettere auf den Rücksitz und schlinge meine Arme um seine Hüften und kurz darauf donnern wir durch die Einkaufsmeile von Paradise mit ihren verstaubten Schaufenster-Auslagen.
    Am Ortsausgang nehmen wir die verlassene Küstenstraße zum Coronado Beach, den ich bis jetzt nur in meinen Träumen oder in den Gedanken anderer gesehen habe.
    „Da vorne ist es!“, brüllt Ryan und dreht sich kurz zu mir um.
    Ich sehe eine lange Reihe von Bäumen auf einem Steilhang, die wie Wächter aussehen und ihre dunklen, kahlen Äste anklagend gen Himmel recken. Dann führt die Straße über den Hügel hinüber und endet auf einem kleinen Parkplatz. Eine Treppe führt zum Strand hinunter.
    Weder Richard noch Ryan halten an, als wir den Parkplatz erreichen. Stattdessen lassen sie die Motoren aufheulen – ein Lärm, als würden mehrere Kettensägen gleichzeitig anspringen. So fegen wir die Stufen zum Sandstrand hinunter.
    Richard führt ein paar schwierige Akrobatik-Nummern mit dem Motorrad vor, nur so zum Spaß, ehe er neben Ryan und mir zum Stehen kommt.
    Die See ist grau und aufgewühlt. Spitze Felsen ragen wie Klauen aus dem flachen Wasser. Ich blicke zurück und sehe die knorrigen schwarzen Bäume in der Ferne, und die geschwungene Linie der schönen, kahlen Klippen, die den Strand einrahmen. Die Gegend hat etwas Vorzeitliches, Urtümliches. Eine passende Kampfkulisse.
    Wir nehmen alle unsere Helme ab und Ryan geht zu seiner Schwester, die noch ganz außer Atem von Richards Biker-Kunststückchen ist.
    „Hey, du“, sagt er zärtlich. „Du kannst ja richtig lachen.“ Dann hebt er zaghaft die Hand, um Lauren zu berühren, überlegt es sich anders und lässt sie wieder sinken.
    Lauren hält ihr zierliches Gesicht in den kräftigen Wind, der vom Wasser her bläst und ihren Zopf herumpeitscht. Ihre Haut wirkt beinahe durchsichtig.
    „Es ist schön hier draußen“, sagt sie und klingt fast überrascht. Sie schaut mich an, dann auf den Sand hinunter. „Heut geht’s mir besser. Ich fühl mich irgendwie … leichter.“
    Verlegen stehen wir alle da wie die ersten Menschen der Schöpfung. Ryan hat die Hände in den Taschen vergraben und scharrt mit den Füßen im Sand, als wollte er nichts mit mir zu tun haben. Der Wind frischt auf und weht uns Sand ins Gesicht. Am Horizont wird es hell.
    Plötzlich zuckt ein Schmerz hinter meinen Augenlidern auf, der mich fast in die Knie zwingt. Es ist Luc, der nach mir sucht, der irgendwo in der Nähe ist und die rätselhafte geistige Verbindung zu aktivieren versucht, die zwischen uns existiert, auch wenn ich es nicht mehr will.
    Luc kennt mich und weiß, dass ich herkommen und mich ihm ausliefern werde, um Raphael die Freiheit zu erkaufen, denn ich habe Raphael einst geliebt wie einen Bruder. Ich stehe tief in seiner Schuld. Ihm verdanke ich dieses Leben, mein Leben mit Ryan.
    Ryan sieht, wie ich einknicke, und fängt mich mühelos auf, ehe ich zu Boden stürze. Er hält mich fest, hält mich auf den Füßen, solange der Lärm, den nur ich hören kann, durch meine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher