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Meister und Margarita

Meister und Margarita

Titel: Meister und Margarita
Autoren: Michail Bulgakow
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Pilatus Jeschuas Rede. Die Rede ist eins. Aber was steht geschrieben? Was schreibt, wer umhergeht und schreibt und schreibt, was andere sagen? Wer hat des Schreibers Stift aufgehängt? Was schreibt Levi Matthäus, was schreibt Besdomny (der ohne Haus), was schrieben Bulgakow und sein Meister? Und was schreiben wir in der ewigen Fortsetzung stiller Post? Pilatus erhascht nur einen Blick auf die geheimnisvolle Schrift des Zöllners und zuckt zusammen: »Im letzten Vers des Pergaments standen die Wörter: ›eines der größten Laster‹ und ›Feigheit‹«. (S. 430)
    Über diesen vermeintlichen Kernsatz des »Meisters« – Das größte Laster ist die Feigheit – sind ganze Bücher geschrieben worden. Kein Zufall, ist doch ACEDIA (Trägheit des Herzens, Ignoranz und Feigheit) eine der sieben Hauptsünden. Und menschlich wie alle anderen Sünden, denn, wie auch Woland und Jeschua wissen, ist nicht das Böse an sich das Problem, sondern die Angst vor dem Bösen, die uns zu seinen Handlangern macht. Allerdings ist Vorsicht geboten, denn Interpretation reduziert allzu gern, indem sie sich auf Systeme bezieht, die für so begrenzbar wie beschreibbar gelten. Jeschuas (Bulgakows) Hinweis auf »eine Zeit, in der es keine Macht geben wird«, ist gern als Hinweis darauf ausgelegt worden, der Autor sei in seinem Denken und Schreiben der kommunistischen Erlösungsphantasie verpflichtet geblieben und habe sich so, durch die Hintertür, wiederum bei der Macht angedient.
    Eine Vermutung, die sich so wenig von der Hand weisen wie bestätigen lässt, denn jenseits dessen geht es um mehr, um einen fliegenden Ritt durch den menschlichen Wahnsinn, der den Versuch einer gewaltsamen Abschaffung jeder Transzendenz anhand einer Passionsgeschichte konterkariert, die, egal, welche Vision am Ende steht, von der so großen wie trostlosen Anmaßung aller menschlichen Gerichtsbarkeit spricht, auf die die Menschheit, Himmelsrichtung egal, zu keinem Zeitpunkt ihrer Geschichte, irgendein Anrecht erworben hat. Migräne hat jeder Zweite, wie Erlösung geht, weiß keiner, der »Meister« schon gar nicht. Aber vielleicht Margarita?
    Also: »Wohlan denn, Leser! Folge mir nach! Wer hat dir erzählt, es gäbe auf der Welt keine echte, wahrhafte, ewige Liebe? Möge dem Lügner seine schändliche Zunge abgetrennt werden!« Liebesgeschichten sind allerdings immer verdächtig, allen voran die mit autobiographischem Unterfutter, weil sie keinen Widerspruch dulden, ist doch hinlänglich bekannt, dass Bulgakows Margarita nach den Zügen Jelenas konfiguriert ist, der dritten Ehefrau Bulgakows, die Modell für jene Hexe saß, die eines Nachts lässig einen Schrubber besteigt, um ihrem behaglichen Leben (im Moskau der dreißiger Jahre weit mehr als ein Privileg) ein für allemal abzuschwören und ihren »Meister« wiederzufinden, der eines Tages spurlos verschwand und den sie nicht vergessen kann. Also macht sie sich auf die Suche und trifft dabei auf, wen sonst, Azazello, den Frauenverjüngerer, der ihr die Zaubersalbe zusteckt, die sie nicht nur schön und unwiderstehlich macht, sondern vor allem dazu befähigt, jenen berühmten nächtlichen Flug über die Stadt Moskau anzutreten, den Schlögel in »Terror und Traum« so eindringlich aufruft: »Der Flug der Margarita ist keine zufällige Bewegungsform, keine exotische Zugabe des Schriftstellers, sondern von zentraler Bedeutung für die Komposition des Romans und für die Entfaltung des Geschehens. Der Flug steht bei Bulgakow in einer Reihe mit ›Freiheit‹ und meint so viel wie Ausweg, Ausbrechen, Fortgehen« (S. 310). Ein Wunsch, der sich umgehend jedem erschließt, der weiß, was es heißt, nicht reisen zu dürfen, und dem auch fiktive Besuche bei Stalin (bei Cognak und Tee) keinen Flugschein nach Westen eingebracht haben.
    Weshalb Margarita ihren Flug in vollen Zügen genießt, bis sie schließlich bei Woland landet, der sie, auf Gegenleistung aus, kaum im Hauptquartier eingetroffen, umgehend zu seiner Ballkönigin macht. Um ihre große Liebe zu retten, verkauft sich die Liebende dem Bösenund steht eine höchst turbulente Ballnacht durch, in deren Verlauf sie mit anschwellendem Knie und abgeküsster Hand auf jede Menge illustrer Gäste trifft, die einen auf Spaß, die anderen auf Absolution aus, wie jene Frau mit dem Tuch: »Ungefähr zwanzig. Umwerfend schön. Nur die Augen irgendwie besorgt und zudringlich […]« Die Sache ist die (erklärt Korowjew): »Sie arbeitete in einem Kaffeehaus. Eines Tages ruft
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