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Meister und Margarita

Meister und Margarita

Titel: Meister und Margarita
Autoren: Michail Bulgakow
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fit: – Tja, dann –, und setzte die vom Brausetrinken unterbrochene Rede fort.
    Diese Rede handelte (wie sich später herausstellen sollte) von Jesus Christus. Der Redakteur hatte nämlich beim Dichter für die nächste Buchedition seiner Zeitschrift ein großes antireligiöses Poem in Auftrag gegeben. Ein solches Poem hatte Iwan Nikolajewitsch denn auch geschrieben, sogar in Rekordzeit, nur dass es den Redakteur überhaupt nicht zufriedenstellte. Die Hauptperson des Poems, nämlich Jesus, war von Besdomny in sehr dunklen Farben gezeichnet worden, und dennoch musste nach Meinung des Redakteurs das gesamte Werk neu geschrieben werden. Und so hielt nun der Redakteur dem Dichter eine Art Vorlesung über Jesus, um den grundsätzlichen Fehler des Dichters aufzuzeigen.
    Schwer zu sagen, was genau die Ursache für Iwan Nikolajewitschs Scheitern gewesen war – mangelndes Vorstellungsvermögen oder vollkommene Unkenntnis der Materie – aber sein Jesus wirkte quicklebendig, ganz und gar existent, wenn auch versehen mit allen möglichen schlechten Charakterzügen.
    Jetzt wollte Berlioz dem Dichter klarmachen: Es kommt nicht darauf an, wie Jesus als Mensch ist, böse oder gut, sondern einzig darauf, dass es ihn als Person überhaupt nicht gibt. Alle Erzählungen über ihn sind Hirngespinste, Mythen eben.
    Nun war ja der Redakteur ein überaus belesener Mann. Im Verlauf seiner Rede wies er einleuchtend auf die alten Geschichtsschreiber hin, den berühmten Philo von Alexandrien zum Beispiel, oder den hochgebildeten Flavius Josephus: Mit keinem Wort hatten sie Jesus erwähnt. Als solider Kenner belehrte Michail Alexandrowitsch den Dichter über jene Passage aus den allseits bekannten »Annalen« des Tacitus (Buch fünfzehn, Kapitel vierundvierzig), wo der Kreuzestod Jesu gestreift wird. Auch sie – nichts weiter als eine Fälschung späterer Zeit.
    Der Dichter, für den diese Mitteilungen des Redakteurs allesamt Neuland waren, hörte Michail Alexandrowitsch aufmerksam zu, richtete auf ihn seine lebhaften grünen Augen und wurde nur hie und da vom Schluckauf geplagt, wobei er murmelnd die Aprikosenbrause verfluchte.
    – Es gibt keine östliche Religion –, sagte Berlioz, – in der ein Gott ohne die obligatorische unbefleckte Geburt zur Welt käme. So haben die Christen nichts Neues erfunden und ihren Jesus, den es in Wirklichkeit gar nicht gab, auf gleiche Weise erschaffen. Und genau darauf sollte der Hauptakzent gesetzt werden …
    Berlioz’ hoher Tenor hallte in der leeren Allee. Und je weiter sich Michail Alexandrowitsch in Abgründe wagte, in die sich nur ein besonders gebildeter Mensch hineinwagen würde, ohne Angst, sich den Hals zu verrenken, desto mehr erfuhr der Dichter an interessanten und nützlichen Details: vom altägyptischen Osiris, dem gütigen Gott, dem Sohn des Himmels und der Erde, vom phönizischen Tammuz, von Marduk und sogar von demweniger bekannten grimmigen Gott Vitzliputzli, der seinerzeit bei den Azteken in Mexiko ziemliches Ansehen genossen hatte.
    Und just in dem Augenblick, in dem Michail Alexandrowitsch dem Dichter über Vitzliputzli erzählte und wie dieser von den Azteken aus Teig geknetet worden war, zeigte sich in der Allee der erste Mensch.
    Später, als es, ehrlich gesagt, nichts mehr zu retten gab, legten diverse behördliche Stellen eigene Beschreibungen dieses Menschen vor. Die Unterschiede sind in höchstem Maße verblüffend: Er sei kleinwüchsig, habe Goldzähne und humpele auf dem rechten Bein. Oder riesengroß, habe Platinkronen und humpele auf dem linken Bein. Oder aber er sei – wie es so schön heißt – »ohne besondere Kennzeichen«.
    Es bleibt festzustellen, dass keine dieser Beschreibungen etwas taugt.
    Zunächst: Der Besagte humpelte nicht und war weder klein noch riesenhaft, sondern einfach nur hochgewachsen. Was seine Zähne betrifft, so waren sie rechts mit Gold- und links mit Platinkronen versehen. Er trug einen teuren grauen Anzug und ausländische Pantoletten von exakt gleicher Farbe. Das graue Barett war keck auf die Seite gezogen, der Spazierstock mit schwarzer Pudelschnauze unter den Arm geklemmt. Vom Aussehen her – ein Mittvierziger. Mit irgendwie krummem Mund. Glattrasiert. Braunhaarig. Das rechte Auge schwarz, das linke kurioserweise grün. Die Brauen dunkel, doch die eine saß höher als die andere. Alles in allem: ein Ausländer.
    Nachdem er die Bank mit dem Redakteur und dem Dichter passiert hatte, schielte der Fremde in deren Richtung, blieb stehen und
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