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Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)
Autoren: Wibke Bruhns
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weit weg von seiner Frau, deren Vertrauen er verspielt hat. Jetzt, in dieser Zelle ist sie vermutlich an seiner Seite, aber weiß er das? Er muß sich fragen, wie er tatsächlich hat glauben können, daß Else unbegrenzt belastbar, daß ihr Vorrat an Gemeinsamkeit unerschöpflich sei, den er verschwendet hat in immer neuen Eskapaden. Im Urteil steht, HGs »Verrat am Führer« sei weder zu entschuldigen durch »schwere Familienverhältnisse, unter denen er damals litt, noch daß der eigene Schwiegersohn genannt werden mußte«. Was hat HG bewogen, seinen Konflikt mit Else vor Gericht zur Sprache zu bringen? Zu welchem Ende? Hat er seine »Treulosigkeit« gegenüber dem Führer zu erklären versucht mit seiner seelischen Überlastung wegen Else? Oder hat ihn einfach die Kraft verlassen angesichts der Aussichtslosigkeit zu Hause und im Gericht? Ich kann diesen Satz im Urteil nicht lesen ohne Tränen, und ich danke dem Schicksal, daß Else den Text nie gesehen hat.
    HGs Seele hat noch mehr zu kämpfen: Er wird seine vielen Kinder nicht mehr an die Hand nehmen können auf dem Weg, den er für richtig hält. Er sieht sein Lebenswerk zertrümmert, seins und das der Generationen vor ihm. Sein umnachteter Vater kann das Vermächtnis der Vorfahren nicht fortführen, und wer weiß, ob sein Sohn den Krieg übersteht. Denkt HG darüber nach, daß auch er dem Regime, das ihn jetzt töten wird, die Steigbügel gehalten hat, daß er teilhat an dem Verhängnis, das ihn nun ereilt? Großer Gott, ich will ihn nicht überfordern. Ich würde ihn gern trösten, wenn es denn einen Trost gäbe irgendwo. Ich wünschte, ich könnte beiden erleichtern, was vor ihnen liegt – HG und Bernhard müssen zurechtkommen mit ihrer Angst vor dem Tod, schlimmer: mit der Angst vor dem entsetzlichen Sterben.
    Sie werden verurteilt am 15. August 1944 zum Tod durch den Strang. Es ist der dritte Schauprozeß gegen die Attentäter vom 20. Juli, der Große Saal im Berliner Kammergericht ist gerammelt voll mit handverlesenen Zuschauern in allen möglichen Uniformen. Altkanzler Helmut Schmidt hat mir erzählt, er sei dort hinkommandiert worden als junger Oberleutnant. Goebbels hatte verfügt, daß »Soldaten aller Dienstgrade, deren nationalsozialistische Einstellung einer Aufbesserung bedarf, an den Volksgerichtshof-Verhandlungen teilnehmen sollen, damit sie wissen, wie es Verrätern ergeht«.
    Vor der Verhandlung hat ein von Hitler eingesetzter »Ehrenhof« des Heeres unter Vorsitz von Generalfeldmarschall von Rundstedt die Angeklagten »mit Schande« aus der Wehrmacht ausgestoßen, damit sie der Zivilgerichtsbarkeit überantwortet werden können – Hitler: »Diese Verbrecher sollen nicht vor ein Kriegsgericht, wo ihre Helfershelfer sitzen und wo man die Prozesse verschleppt!« Nicht einer der Beschuldigten hat sich vor den Ehrenmännern dieses »Ehrenhofs« persönlich rechtfertigen dürfen, und der Vorsitzende Rundstedt hätte ebenfalls als Mitwisser vor dessen Schranken gehört. Er hat seit Jahren von den Umsturzplänen gewußt und niemanden denunziert.
    Die Handschellen werden den Angeklagten erst am Eingang des Gerichtssaals abgenommen, sie tragen Zivil ohne Schlips und Hosenträger, zwei Polizeibeamte flankieren sie rechts und links und zerren sie nahezu an den Ärmeln zu ihren Plätzen. Der Saal mit seinen Rosenquarz-Rechtecken an der Wand und der Kaiserloge über dem riesigen Kamin ist dekoriert mit Hakenkreuzfahnen, hinter denen die Kameras versteckt sind. Hitlers Anweisung: »Blitzschnell muß ihnen der Prozeß gemacht werden, sie dürfen gar nicht groß zu Wort kommen«, wird vom Präsidenten des Volksgerichtshofes Roland Freisler gründlich umgesetzt. In seiner blutroten Robe gebärdet er sich wie ein Berserker, er brüllt und keift und fällt den Angeklagten ins Wort, sobald sie zu einer Antwort ansetzen. Es ist ein ekelhaftes Schauspiel, und sogar Justizminister Thierack beschwert sich bei Martin Bormann über Freisler: »Er sprach von den Angeklagten als Würstchen. Darunter litt der Ernst dieser gewichtigen Versammlung erheblich.«
    In HGs und Bernhards Verhandlung verbeißt sich Freisler besonders in den Mit-Angeklagten Adam von Trott zu Solz, Legationsrat im Auswärtigen Amt und außenpolitischer Sprecher der Verschwörer: »Eine Jammergestalt an Körper, Geist und körperlicher wie geistiger Haltung, der Typ des geistreichelnden, entwurzelten, charakterlosen Intellektualisten vom Romanischen Café, eine Kurfürstendamm-Erscheinung.«
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