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Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)
Autoren: Wibke Bruhns
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so gemacht, an ihr kam niemand vorbei. Sie hat eine Kraft und eine Bestimmtheit ausgestrahlt, ich sehe sie noch da stehen, als die marodierenden Fremdarbeiter ins Haus drängten und sie mit Pistolen bedrohten. Sie hat sie ausgelacht, und sie gingen!
    Während die Gestapo im Haus ist, ruft HG an aus Berlin: Bernhard ist in Zossen verhaftet worden. Else: »Als die Leute gingen, kam Alarm, Ursula war wach und fragte so voller Sorge nach Bernhard, ich mußte es ihr sagen. Ursulas Kummer zerriß mir das Herz, und sie bemühte sich so sehr, tapfer zu sein. Was für ein Wochenbett! Wie kann es sein mit einem Mann, der seine Frau vergöttert und mit einem so süßen und gesunden Jungen! Und wie war es – Ursula, wehrlos ihren Gedanken und ihrer Angst preisgegeben, es war grauenhaft.« Ich möchte mich jetzt am liebsten verabschieden aus dieser Geschichte, einfach aufhören und sie unvollständig lassen. Ich möchte so tun, als hätte ich es in der Hand, ob sie weitergeht oder nicht. Ich habe es nicht in der Hand, und nirgendwo steht geschrieben, daß ich mich wohl fühlen soll mit dem, was ich erzählen muß. Die anderen, damals, haben es sich auch nicht aussuchen können.
    Am 1. August 1944 wird Bernhards Mutter Marta in ein »Arbeitserziehungslager für Frauen« nach Magdeburg verschleppt, sie ist 62. Das Lager ist der Sackfabrik Förster angegliedert in der Schillstraße 2, die 12-Stunden-Tage Schwerstarbeit, die Prügelorgien, die Wassersuppen und die fürchterlichen hygienischen Verhältnisse bringen Marta Klamroth beinahe um. Am Tag drauf kommt Bernhards Vater Walter, der ist 72, ins Zuchthaus nach Potsdam, wo er fast erblindet. Bernhards Bruder Walter jun., er ist 27, landet im Zuchthaus in Berlin, der andere Bruder Jürgen, Medizinstudent und 25, wird in eine Strafkompanie gesteckt. Das alles passiert Anfang August, zwei Wochen vor dem Prozeß. Heinrich Himmler in seiner berüchtigten Rede am 3. August 1944 vor Gauleitern in Posen: Nach dem Vorbild der »germanischen Sagas« solle es eine »absolute Sippenhaftung« geben, »dieser Mann hat Verrat geübt, das Blut ist schlecht, da ist Verräterblut drin, das wird ausgerottet«. Ursula bleibt unbehelligt, die Regeln für die Sippenhaftung werden nie festgelegt, so daß nicht nur Willkür, sondern auch Glück im Spiel sein kann. Ende Oktober kommt Bernhards Familie wieder frei, seine Eltern erfahren erst jetzt, was dem Sohn widerfahren ist.
    Bis zum 29. Juli telefoniert Else noch jede Nacht mit HG, am nächsten Tag erreicht sie ihn nicht mehr. Worüber werden sie geredet haben in diesen Gesprächen, von denen sie nicht wußten, daß es ihre letzten sein würden? Was kann einer reden von einem Diensttelefon mit dem Fräulein vom Amt in der Leitung? Vor lauter Sorge um Bernhard haben sie HGs eigene Gefährdung nicht realisiert, Else jedenfalls nicht. Als HG das letzte Mal in Halberstadt war, hatte er ihr nur erzählt, er habe sich am 10. Juli mit Stauffenberg, Stieff, Bernhard und Erich Fellgiebel, General der Nachrichtentruppen, in Berchtesgaden getroffen – Fellgiebel sollte die Kommunikation vom Führerhauptquartier zu den Wehrmachtsspitzen nach dem Anschlag unterbinden. Sie hätten über die Attentatspläne gesprochen, und er habe anschließend noch die halbe Nacht mit Bernhard diskutiert. Else: »Ich war noch so naiv anzunehmen, daß die Selbstverständlichkeit, daß man doch seinen eigenen Schwiegersohn nicht an den Galgen bringen könnte, auch von anderer Seite berücksichtigt werden würde.«
    Hat HG geahnt, daß die Gestapo ihm auf der Spur ist? Diese Zusammenkunft am 10. Juli war nicht zu übersehen, sie saßen an Stieffs Tisch im Kasino von »Frankenstrub«, das ist der Deckname für das OKH bei Berchtesgaden. Was wußte die Gestapo? HG war häufig in »Mauerwald« oder in Zossen, in Berliner Stabsstellen, wo er bei jeder Gelegenheit auf Männer traf, die zum 20. Juli-Kreis gehörten. Wußte HG das? Waren das rein dienstliche oder konspirative Treffen? Wie verdächtig sind gelegentliche Verabredungen von HG mit Generalquartiermeister Eduard Wagner, der sich am 23. Juli erschossen hat, oder mit dem General der Artillerie Fritz Lindemann, der auf der Flucht ist? Beide kennt HG seit den 20er Jahren, Lindemann, denke ich, aus dessen Heimatstadt Hamburg. Wenn er sich die Liste derer anguckt, die jetzt schon verhaftet sind, dann muß der Netzwerker HG sich gefragt haben, in wie vielen Adreßbüchern von an der Verschwörung beteiligten Freunden und Bekannten sein
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