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Meine Verfuehrung

Meine Verfuehrung

Titel: Meine Verfuehrung
Autoren: Lisa Renee Jones
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heute Abend dort in der Galerie stand, stieß ich all das beiseite und verlor mich einfach im Hier und Jetzt. Ich schlenderte von Ausstellungsstück zu Ausstellungsstück und genoss das Geschenk, die Kunstwerke einiger der berühmtesten lokalen und internationalen Künstler zu betrachten. Irgendwann kam eine Verkäuferin, eine blonde und ziemlich kurvenreiche Frau, auf mich zu. Ihr herablassender Blick verriet mir, dass sie dachte, ich rangiere unterhalb der Würde der Galerie. Das gab mir einen Stich und weckte die Furcht in mir, dass sie recht hatte – dass ich nicht hierhergehörte. Aber dann erschien aus dem Nichts mein altes Ich wieder. Früher hatte es für das gekämpft, was es wollte. Nachdem ich mich gefasst hatte, stellte ich ihr ein paar spitzfindige Fragen zum Werk eines Künstlers, um ihr Wissen zu testen. Sie zierte sich und brachte einen Vorwand an, um mich allein zu lassen. Ich hatte fast vergessen, dass ich so berechnend sein kann, und es war seltsam, diesen Teil von mir wiederzuentdecken.
    Ich blieb eine Stunde, bis kurz vor Geschäftsschluss, dann ging ich widerstrebend zur Tür. In diesem Augenblick kam er herein, und mir wurden die Knie weich, als wäre ich ein Schulmädchen. So etwas wollte ich mir nie erlauben. Aber dieser Mann … dieser Mann war so überwältigend, und nicht nur, weil er sündhaft gut aussieht. Sein Blick begegnete meinem, und ich erstarrte, wie gebannt von seinen Augen. Ich war mir seiner in jeder Zelle bewusst, auf eine Art, wie ich mir noch nie im Leben eines Mannes bewusst gewesen bin.
    Ich habe darüber nachgedacht, woher das kommt. Er war umwerfend attraktiv, aber ich habe schon früher zauberhafte Männer kennengelernt. Es war mehr als sein Aussehen. Es war definitiv die Ausstrahlung von Macht und Selbstbewusstsein, die er besaß. Die Art, wie er etwas aus einem perfekt sitzenden Anzug machte, statt dass der Anzug etwas aus ihm macht. Ich sage mir immer wieder, dass seine Ausstrahlung und sein Selbstbewusstsein daher rühren, dass er ein Mann ist, kein Jüngelchen, gut zehn Jahre älter als ich. Natürlich ist das eine Erklärung – doch ich glaube, dass dieser Mann auch mit zweiundzwanzig Jahren schon das war, was er heute ist.
    Am Ende waren es nicht sein Aussehen, seine Macht oder seine faszinierenden Augen, von denen ich dachte, dass sie vielleicht, nur vielleicht, einen Anflug von männlichem Interesse zeigten. Es war die Frage, die er mir stellte: eine Frage, die mich mit solcher Wucht traf, dass ich wie vor den Kopf geschlagen war, und die mich in Verlegenheit brachte. Eine so einfache Frage, von einem Mann, der so gar nicht einfach war.
    Sind Sie hergekommen, um sich für das Praktikum zu bewerben?
    Ich konnte kaum begreifen, was er gerade gesagt hatte. Ich musste mir die Frage mehrmals stumm wiederholen, und mich zu ruhigem Denken zwingen. Und ehrlich, ich hätte beleidigt sein können, dass er annahm, meine Jugend oder irgendetwas anderes an mir verriet, dass ich nicht dort war, um Kunst zu kaufen. Stattdessen verscheuchte der innere Jubel darüber, dass er mich als mögliche Kandidatin für einen Job betrachtete, jeden anderen Gedanken.
    Dann blies die Realität den Hoffnungsfunken aus. Ich weiß, was ein »Praktikum« in Dollars bedeutet, denn ich hatte im vergangenen Jahr Rechnen gelernt, als sich die Kosten für die Beerdigung meiner Mutter auf ein kleines Vermögen belaufen hatten. Wollte ich mit einer langen Liste von Leuten konkurrieren, die darum betteln würden, für Pennys zu arbeiten? War ich bereit, zwei Jobs zu stemmen, um zu überleben? Und mal ehrlich, wie lange konnte ich das durchhalten? Bestand die realistische Chance, jemals meinen Lebensunterhalt in irgendeiner Galerie zu verdienen?
    Also, was tat ich? Ich lachte dümmlich und nervös und erklärte ihm, dass die Arbeit in der Galerie ein Traum sei, den ich mir einfach nicht leisten könne. Dann, bevor ich etwas noch Dümmeres tat, wie beispielsweise meine Meinung zu ändern, ging ich an ihm vorbei und verließ die Galerie.
    Und jetzt esse ich Pralinen, und mir ist übel, weil ich keinen Grund gefunden habe, meine Meinung zu ändern. Vielleicht wird mir, wenn ich die ganze Schachtel leer esse, vom Zucker so schlecht, dass ich die Übelkeit wegen meiner Entscheidung nicht mehr spüre. Ich kann nur hoffen.
    Sonntag, 5. Dezember 2010
    Als ich zu Bett gegangen bin, habe ich an den Mann aus der Galerie gedacht und an die Art, wie seine silbergrauen Augen meine gefangen genommen haben. An mein
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