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Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims: Roman (German Edition)

Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims: Roman (German Edition)

Titel: Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims: Roman (German Edition)
Autoren: Annabel Pitcher
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etwas Kleines, Graues auf der Türschwelle gefunden. Es war eine Maus, glaube ich, und sie war tot. Ich wollte sie nicht anfassen, deshalb habe ich mir ein Blatt Papier geholt, sie mit einem Ast draufgeschoben und in den Abfalleimer geworfen. Aber dann fand ich das fies, also habe ich sie wieder rausgeholt, unter die Hecke gelegt und mit Gras bedeckt. Roger miaute die ganze Zeit, als sei er beleidigt, weil er sich doch solche Mühe gegeben hatte. Ich erklärte ihm, dass ich tote Sachen nicht ausstehen kann, und er rieb sein oranges Fell an meinem rechten Schienbein, als Zeichen, dass er mich verstanden hatte. Es stimmt. Ich fürchte mich grässlich vor toten Tieren. Das klingt zwar echt gemein, aber ich bin froh, dass Rose in Einzelteilen gefunden wurde, wenn sie schon sterben musste. Ich fände es viel schlimmer, wenn sie steif und kalt in der Erde liegen und dabei noch aussehen würde wie das Mädchen auf den Fotos.
    Ich glaube schon, dass meine Eltern früher glücklich waren. Auf den Fotos grinsen sie immer und haben ganz kleine Augen, als wenn jemand gerade einen super Witz erzählt hätte. Als wir noch in London waren, hat Dad stundenlang auf diese Fotos gestarrt. Es gab Hunderte, alle vor dem neunten September aufgenommen. Sie lagen durcheinander in fünf Kartons. Vier Jahre nach Rose’ Tod beschloss Dad, die Fotos zu ordnen. Die ältesten sortierte er nach hinten, die neuesten nach vorne. Er kaufte zehn von diesen teuren Fotoalben aus Leder mit Goldschrift vorne drauf und klebte monatelang abends diese Bilder ein. In dieser Zeit redete er mit keinem und trank und trank und trank. Aber weil er so viel trank, wurden die Fotos schief, und er musste die Hälfte am nächsten Tag noch mal rausreißen. Wahrscheinlich hat Mum damals mit dieser Affäre angefangen. Das Wort habe ich im Fernsehen gehört, aber ich hätte nie gedacht, dass Dad es mal Mum an den Kopf werfen würde. Das war ein echter Schock. Ich wäre nie auf so eine Idee gekommen, auch nicht als Mum erst zweimal in der Woche, dann dreimal und später noch viel öfter in die Trauergruppe ging.
    Beim Aufwachen weiß ich manchmal nicht mehr, dass sie weg ist, und wenn es mir einfällt, erschrecke ich, so wie wenn man auf der Treppe eine Stufe übersieht oder über den Bordstein stolpert. Dann erinnere ich mich wieder und sehe alles, was an Jas’ Geburtstag passiert ist, so deutlich vor mir wie auf einem dieser HD -Fernseher, die Mum als Geldverschwendung bezeichnet hat, als ich mir letztes Jahr einen zu Weihnachten wünschte.
    Jas kam zu ihrer eigenen Geburtstagsfeier eine Stunde zu spät. Mum und Dad stritten sich. Christine hat gesagt, du wärst nicht mir ihr zusammen gewesen , sagte Dad gerade, als ich in die Küche kam. Ich hab sie angerufen . Mum sank auf einen Stuhl neben den Sandwiches, was ich schlau von ihr fand, weil sie dann als Erste aussuchen durfte. Es gab welche mit Rindfleisch und mit Hühnchen und andere mit einem gelben Belag, von dem ich hoffte, dass es Käse und nicht Eiersalat war. Mum hatte ein Partyhütchen auf, aber ihre Mundwinkel hingen so herunter wie bei diesen traurigen Clowns im Zirkus. Dad machte den Kühlschrank auf, holte sich ein Bier raus und knallte die Tür wieder zu. Auf dem Küchentisch standen schon vier leere Dosen. Wo zum Teufel hast du gesteckt , fragte er jetzt. Mum machte den Mund auf, um etwas zu sagen, aber in diesem Moment knurrte mein Magen ganz laut. Mum zuckte zusammen, und die beiden fuhren herum und starrten mich an. Kann ich welche von den kleinen Würstchen haben , fragte ich.
    Dad grunzte und griff nach einem Teller. Obwohl er so wütend war, schnitt er sorgfältig ein Stück Torte ab und packte noch Würstchen, Sandwiches und Chips auf den Teller. Dann mischte er mir ein Glas Tritop mit schön viel Sirup, so wie ich es mag. Als er fertig war, wartete ich darauf, dass er mir beides geben würde. Aber er ging an mir vorbei zum Kamin im Wohnzimmer, und das machte mich total wütend. Dass tote Schwestern keinen Hunger mehr haben, weiß doch wohl jeder. Als ich grade dachte, mein Magen würde sich selbst aufessen, ging die Haustür auf. Du kommst zu spät , brüllte Dad. Mum keuchte nur erschrocken. Jas lächelte nervös. An ihrer Nase funkelte ein Diamantstecker, und ihre Haare waren so pink wie Kaugummi. Ich lächelte auch, aber dann WUMM gab es einen Riesenknall, als Dad den Teller fallen ließ und Mum zischte Was soll denn das .
    Jas lief feuerrot an. Dad schrie irgendwas von Rose, zeigte auf die
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