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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition
Autoren: M Twain
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hatte und zu einer einjährigen Weltreise aufbrechen wollte, um mich mit Hilfe von Vorträgen davon zu befreien, aber das war für ihn kein Grund, mich zu verschonen, wenn er die Gelegenheit hatte, mich mit Gesellschaftsbesuchen zu quälen und mir dafür die Honorarsätze eines Piraten zu berechnen. Ich beschloss, die Sonntagsschule, die er beaufsichtigte, nie wieder zu betreten, und habe bis heute Wort gehalten. Allerdings war ich ohnehin nie dort gewesen.
    Die
Gewohnheit
, krank zu werden, ist eine schlechte Sache. Sie werden feststellen, wie schwierig es ist, mit ihr zu brechen. Von meinem siebenten bis zu meinem sechsundfünfzigsten Lebensjahre hatte ich die Gewohnheit, gesund zu sein – in der ganzen Zeit wusste ich kaum, was es hieß, krank zu sein. Dann trat eine Veränderung ein. Wir lebten in Berlin. An einem sehr kalten Winterabend hielt ich in einem Saal, in dem es so heiß war wie im Jenseits, einen Vortrag zugunsten einer englischen oder amerikanischen kirchlichen Wohlfahrtseinrichtung. Auf dem Heimweg gefror ich. Ich verbrachte vierunddreißig Tage im Bett, mit schwerer Bronchitis durch Zugluft. Das war der Anfang. Seither ist die Lunge geschädigt. Immer, wenn ich mir eine Kopfgrippe zuziehe, wandert sie sofort in die Bronchialröhren, und ich muss den medizinischen Klempner kommen lassen. Oder vielmehr, das habe ich früher getan; als ich jedoch herausfand, dass es seine Fähigkeiten überstieg, die Grippe zu lindern, sie abzuschwächen, abzukürzen oder zu heilen, hörte ich auf, ihn zu rufen, und erlaubte dem Husten, sich nach Belieben auszubellen und an Erschöpfung zugrunde zu gehen. Unter diesen Bedingungen dauert die Grippe sechs Wochen. Bevor ich aufgab, hatte ich mit zehn Ärzten in verschiedenen Teilen der Welt experimentiert.
    Anfang 96 zog ich mir in Ceylon eine Grippe zu, und als wir ein paar Tage später Bombay erreichten, waren meine Bronchialröhren in schlechter Verfassung,und ich ließ den Klempner kommen. Er hörte auf den großartigen Namen Sidney Smith. Sieben Tage lang nahm ich seine schreckliche Medizin ein, ohne Besserung, dann entließ ich ihn. Für jede Visite verlangte er den doppelten Preis, da ich nicht ortsansässig sei. Mir wurde gesagt, das sei so üblich. Ebenso rational wäre es gewesen, den doppelten Preis zu verlangen, weil ich Presbyterianer sei, dachte ich und zahlte die Rechnung nur zur Hälfte.
    Sechs Wochen lang bellte ich Zuhörer in ganz Indien an, dann ging der Husten wegen Vernachlässigung ein. Später hatte ich Anfälle in London. Der erste Arzt (Parsons) räumte bald ein, in meinem Fall keine Fortschritte erzielen zu können, und zog sich ehrenvoll aus dem Kampf zurück; der andere (Ogilvie) kam vermutlich gleich zu dem Schluss, dass der Fall seine Wissenschaft überstieg, denn er hörte auf, sich damit abzugeben, kam aber jeden Tag, erzählte mir eine Stunde lang alte Anekdoten und genoss es – das sah ich ihm an. Wieder fand ich mich getäuscht; ich fasste seine ermüdenden Heimsuchungen als Gesellschaftsbesuche auf und versäumte es, mich zu schützen. Schließlich aber begriff ich, dass die Bürde seiner Gesellschaft in meinem schwachen Zustand eine echte Gefahr darstellte, und so nahm ich meine letzten Kräfte zusammen und entließ ihn. Für alle diese Besuche berechnete er mir den vollen Satz, dabei wusste er ganz genau, dass es schlichter Betrug war, auch nur für die Hälfte Geld zu verlangen.
    [Henry H. Rogers]
    1893 –1904
    Florenz. Frühjahr 1904 (April)
    Schon seit über einem Jahr steht Mr. Rogers in Boston regelmäßig im Zeugenstand. Seit elf Jahren ist er mein engster und bester Freund. Beim Ruin der Firma Charles L. Webster & Co. haben seine Klugheit und Standfestigkeit meine Urheberrechte vor dem Verschlucktwerden bewahrt, und seither schützt sein kommerzielles Geschick meinen Geldbeutel, zumindestin jenen hellen Augenblicken, da ich seine Ratschläge bereitwillig anhöre und befolge – was ich die Hälfte der Zeit tue und die andere nicht.
    Er ist vier Jahre jünger als ich; jung im Geiste und jung in Aussehen, Teint und Haltung, leicht und anmutig in seinen Bewegungen, gutherzig, attraktiv, gewinnend, von Natur aus ein Gentleman, der wohlerzogenste Gentleman, dem ich auf beiden Seiten des Ozeans in irgendeiner sozialen Stellung, vom deutschen Kaiser bis zum Schuhputzer, begegnet bin. Er ist warmherzig und mit einem feinen Sinn für Humor ausgestattet, und seinen vertrauten Freunden ist er ein charmanter Kamerad. Ich bin sein
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