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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition
Autoren: M Twain
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einen Mann im glücklichen innersten Zirkel des inneren Zirkels des kleinen Kreises von Finanzgiganten, die die gewaltigste Anhäufung von Reichtum in diesem Land repräsentieren. Die Stadt hat gesehen, wie er vier Tage lang unaufhörlich mit Salven von Fragen eines der fähigsten Anwälte des Commonwealth beschossen wurde, aber sie hat auch gesehen, wie er am Ende ruhig, gefasst und gelassen, frisch und kraftvoll aus dem Zeugenstand trat, als sei er vierzig Jahre jünger, als er ist, und habe soeben eine Vergnügungsfahrt auf seiner Yacht beendet, statt etwas durchgestanden zu haben, was für die meisten Menschen eine äußerst anstrengende Tortur wäre.
    Und was verbales Florettfechten betrifft, so hat Henry H. Rogers bewiesen, dass ihn seine blitzschnellen Antworten von diamantener Härte dazu berechtigen, die Krone der Überlegenheit über alle Zeugen zu tragen, die in Massachusetts in letzter Zeit ins Kreuzverhör genommen wurden.
    Als er fertig war, hatte das Gericht herzlich wenig über den Fall herausbekommen, was es nicht schon von Mr. Winsor erfahren hatte, ausgenommen Mr. Rogers’ Version des berühmten Telefongesprächs mit Mr. Lawson; die allerdings ist insofern interessant, als Mr. Lawson von dem Telefonat offenbar eine ganz andere Auffassung hat als Mr. Rogers. Allem Anschein nach wirft dieser Unterschied ein gelinde gesagt interessantes Streiflicht auf das gegenwärtige Verhältnis zwischen beiden Männern.
    So scharfsinnig Mr. Whipple ist und so unerbittlich er den Tatsachen nachspürt, so räumt er Berichten zufolge doch ein, dass Mr. Rogers der beste Florettfechter ist, den er in seiner Anwaltslaufbahn kennengelernt hat. Dass dieser Mr. Whipple das Wasser reichen konnte, mitunter mehr als das, war die vorherrschende Meinung derjenigen, die die beiden die Klingen kreuzen sahen.
    Kurz nach seiner Ankunft in Boston erkrankte Mr. Rogers. Unser Ostwind oder der Geruch eines durch eine undichte Stelle entweichenden Gases oder etwasanderes war zu viel für ihn, und er verzog sich in sein bescheidenes Bett im Bostoner Waldorf-Astoria oder im nächstbesten Hotel, das der Nabel der Welt zu bieten hat. Es gab Leute, die ihm zutrauten, er wolle sich drücken, sei zu krank, um auszusagen, und werde Boston versetzen wie ein berühmter Opernstar oder eine Schauspielerin. Doch Menschen, die ihn kannten, sagten: »Nein, Mr. Rogers ist kein Drückeberger; er ist ein Boxer der Schwergewichtsklasse, und er wird die Sache durchstehen.« Und das tat er auch.
    Nach zehn aufreibenden Tagen beantwortete Mr. Winsor eines Nachmittags die letzte Frage, schenkte dem Gericht und den Zuschauern sein letztes Lächeln und trat aus dem Zeugenstand.
    Am nächsten Morgen kamen ein paar »Überzählige« und Nebendarsteller und hatten ihren kleinen Auftritt. Dann aber rückte ein hochgewachsener, distinguiert aussehender Gentleman mit allen Anzeichen einer Führungspersönlichkeit ins Zentrum der Aufmerksamkeit, das heißt in den Zeugenstand. Als Mr. Rogers dem verhörenden Anwalt gegenüberstand, konnte sich die Menge im Gerichtssaal den Mann mit den vielen Millionen erstmals genauer ansehen.
    In Anbetracht seiner gerade überstandenen Erkrankung gestattete das Gericht dem Zeugen, während seiner Aussage zu sitzen.
    Mr. Rogers ist alles, was seine Fotos versprechen, und viel, sehr viel mehr. Das Erste, was fast jeder bemerken würde, ist sein Kopf, buchstäblich ein »Dom des Denkens«, groß, wohlgeformt, außergewöhnlich hoch über der Augenlinie, gerundet und hinten voll entwickelt, der Kopf eines Mannes von ungeheurem Denkvermögen, ein kraftvoller, energischer Kopf, der eines Mannes, der fähig ist zu planen und seine Pläne auszuführen, eindeutig der Kopf eines Mannes von Geschäften, von gewaltigen Geschäften.
    Der Kopf mag mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen als das Gesicht, dabei ist Letzteres ohne Frage das eines hochstehenden Mannes, markant, in einigen Falten fast asketisch, mit aggressivem Kinn, festem Mund, scharfen Augen.
    Der gepflegte graue Schnurrbart, die wache, kräftige, schlanke, schmucke, gepflegte, wohlproportionierte Gestalt verleihen ihm ein militärisches Aussehen, das zu diesem Mann der Macht ganz und gar passt.
    Mr. Whipple ist bereit, mit seinem Bombardement von Fragen zu beginnen. Mr. Rogers sitzt entspannt mit übereinandergeschlagenen Beinen da, die Arme auf dasGeländer des Zeugenstands gestützt, den Kopf zurückgelehnt, die Augen unergründlich, die ganze Körperhaltung verteidigungsbereit.
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