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Meine Frau will einen Garten

Meine Frau will einen Garten

Titel: Meine Frau will einen Garten
Autoren: Gerhard Matzing
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können: ein Atemzug, der vor Angst die Notbremse zieht und ruckartig zum Stehen kommt wie ein beinahe entgleisender Eilzug. »Was«, frage ich und hebe den Kopf, um einen Blick auf den Monitor zu werfen, »was ist da? Etwas, was da nicht hingehört?«
    »Ein kleiner Knoten, ganz klein. Haben Sie den schon mal gespürt?«
    Natürlich, du Dummschädel, denke ich, warum
sonst bin ich seit Monaten nicht zum Arzt gegangen? Doch nicht, weil es regnet oder weil die Tram weg ist. Meine Frau will einen Garten, und vor Sorge deshalb habe ich einen Tumor bekommen. So sieht’s aus. Ich sage aber nur: »Stimmt, jetzt, wo Sie das sagen … Das ist doch nicht bösartig?«
    »Wahrscheinlich ist es natürlich nicht«, sagt der Arzt, »aber Sie könnten da theoretisch, sehr theoretisch … auch etwas nicht so Günstiges haben.«
    Das ist reine Spekulation. Wahrscheinlich ist ein einziger Knoten von einer Million Knoten problematisch. Aber die Diagnoseklinik lebt von Leuten, die sich vor allem für die eine Seite der Statistik interessieren. Die 999 999 anderen Knoten sind ihnen egal. Außerdem hat die Klinik teure Maschinen, die dazu da sind, auch die allerseltensten Fälle aufzuklären.
    Selbstverständlich teile ich die Vermutung, dass da was sein könnte. Obwohl ich natürlich nicht gern dasitze, während ein mutmaßlich feindliches U-Boot in meinem Körper die Torpedorohre fluten lässt.
    Es gibt zwei Sorten von Ärzten. Die, die sagen: »Da ist nichts. Machen Sie sich mal keine Gedanken.« Die finde ich gut. Und dann gibt es noch die, die sagen: »Normalerweise ist da nichts, aber in wenigen, wirklich extrem wenigen Fällen … mit verschwindend geringer, ja extremst geringer Wahrscheinlichkeit …« Die zweite Sorte ist seriös, wissenschaftlich genau und alles. Aber ich finde: Sie haben ihren Job nicht begriffen. Die Leute gehen zum Arzt, damit der die Verantwortung
für Unwahrscheinliches übernimmt und ansonsten die Klappe hält.
    Vielleicht war es doch ein Fehler, hierherzukommen.
    Eigentlich will ich über meinen Körper nur das hören, was auch ein guter Gebrauchtwagenhändler sagen würde: »Bisschen Öl, nicht so viel aufs Gas gehen, dann macht er Ihnen noch viele Jahre Freude.«
    Wieder im Wartezimmer. Endlich kommt eine vorläufige und relative Entwarnung zum Ultraschallbefund, die mir aber völlig reicht. Aus dem Stand bin ich Superman. Exakt in dieser verwirrenden Gefühlslage greife ich nach einer Zeitschrift. Pia will mich abholen, aber sie verspätet sich.
    Vor zehn Minuten war ich noch todkrank. Und jetzt werde ich mindestens hundert Jahre alt. Das ist die Situation, in der ich aufgrund irrationaler Unsterblichkeitsvermutungen und angesichts meiner überraschend schnellen Gesundung eine Zeitschrift über Traumhäuser aufschlage, die ich unter normalen Umständen mit Abscheu von mir gewiesen hätte. In der Titelstory wird die Behauptung aufgestellt, dass jeder Bauherr einen bestimmten Haustyp repräsentiere. Dazu kann man den »Großen Bauherrentest« machen.
    Gewissenhaft mache ich mich an die Arbeit. Frage 7 lautet: »Sie blättern in einer Zeitschrift, in der Häuser bekannter Architekten vorgestellt werden. Welche Beschreibung spricht Sie am meisten an?« Ich darf wählen zwischen dem »kühlen Ambiente einer schwebend-dynamischen
Komposition«, einer »Hausform, die eingebettet ist in die Landschaft«, zwischen einer »Fülle natürlichen Lichts« und »einem Werk in bester Bautradition«. Ich kreuze alle Möglichkeiten an. Das darf man nicht, deshalb gibt es null Punkte. Offenbar kann man nicht alles haben, was komisch ist, denn das zeichnet Träume doch aus, müsste also eigentlich auch für Traumhäuser gelten. Mir wird außerdem gesagt: »Natürlich haben Sie Emotionen, aber Sie lassen sich ungern von ihnen bestimmen.« Das ist eine Lüge. Meine Emotionen bestimmen mich total. Vor allem deshalb, weil ich auf dem Grund meines Wesens kein Haus bauen will, Pia aber schon. Trotzdem sitze ich nun in einer Diagnoseklinik, überglücklich angesichts guter Nachrichten, daher denke ich: Warum nicht?
    Das ist der Dammbruch. Ich spüre das so genau, als würde es gleich von der Diagnosemaschine und den Leuten in weißen Kitteln bestätigt werden. Zum ersten Mal in meinem Leben lasse ich den Gedanken zu, ein Haus zu bauen.
    Pia kommt endlich, um mich abzuholen. Sie umarmt mich wegen der guten Neuigkeiten, sagt »siehst du« und sieht zugleich die aufgeschlagene Zeitschrift mit dem »Großen Bauherrentest« auf dem
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